Richter wollen Faxe und langatmige Anwaltsschriftsätze abschaffen

In dem Bestreben, sich selbst die Arbeit zu erleichtern, wollen Richter*innen mit dem Ruf nach einem elektronischen Basisdokument Rechtsanwält*innen ihres zentralen Werkzeugs im Zivilprozess berauben: des Schriftsatzes.
Dr. Matthias Birkholz
Montag, der 22. Februar 2021

Ein Zivilprozess in Deutschland hat immer noch mehr mit dem 19. Jahrhundert zu tun als mit dem 21. Das zivilprozessuale Verfahren in Deutschland wirkt mit seinen immer noch häufig wilhelminisch anmutenden Gerichtsgebäuden, vergilbten Aktendeckeln, Faxgeräten, Linoleumböden und Akteur*innen in schwarzen Roben wie aus der Zeit gefallen. Ein Zivilverfahren ist zudem teuer, komplex und langwierig.

Es ist daher grundsätzlich begrüßenswert, dass die Präsident*innen der OLG, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) und des BGH in einer Arbeitsgruppe Vorschläge zur Modernisierung des Zivilprozesses erarbeitet haben. Deren Ergebnisse liegen nun vor. Aus Sicht der Anwält*innen sind diese jedoch leider enttäuschend bis verstörend.

Immerhin sind in dem Diskussionspapier einige begrüßenswerte Vorschläge zum erleichterten elektronischen Zugang der Bürger*innen zur Ziviljustiz und zur Einführung eines beschleunigten Online-Verfahrens enthalten. Enttäuschender sind bereits die Vorschläge zur Optimierung des elektronischen Rechtsverkehrs. Die ganze Misere wird hier deutlich angesichts der Forderung: „Perspektivisch muss das Telefax als Übermittlungsweg abgeschafft werden, auch wenn es derzeit noch nicht verzichtbar ist.“ Perspektivisch? Derzeit noch nicht verzichtbar? Die Notwendigkeit und Chancen echter Digitalisierung sind offensichtlich in den Köpfen auch des reformbemühten Teils der deutschen obersten Richterschaft noch nicht wirklich angekommen.

Problematischer noch ist jedoch der Teil der Vorschläge, der sich mit der Einführung eines gemeinsamen elektronischen Basisdokuments befasst, das für die Parteien im Anwaltsprozess verbindlich werden soll. Das Basisdokument soll im Regelfall die anwaltlichen Schriftsätze ersetzen. Wie die Relationstabelle soll sie das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassen. Dabei soll das Gericht die „zutreffende Einordnung des Lebenssachverhalts in die Relationstabelle“ überwachen. Auf diese Weise soll der wechselseitige Sachvortrag im Laufe des Verfahrens für die Parteien verbindlich werden und die Funktion des Tatbestands im Urteil übernehmen.

Gegenwärtig enthält die ZPO abgesehen von dem sich aus § 130 ZPO ergebenden notwendigen Inhalt keine Vorgaben zum Aufbau und zur Strukturierung von Schriftsätzen. Immerhin hat es das Gericht nach dem seit 2020 geltenden § 139 Abs. 1 Satz 3 ZPO in der Hand, durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren zu strukturieren und den Streitstoff abzuschichten. Das reicht den Oberrichter*innen offenbar nicht.

Das Gericht muss zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Streitigem und Unstreitigem differenzieren. Da den Überblick zu behalten und Ordnung und Struktur in die Dinge zu bekommen, mag mitunter zeitaufwendig und anstrengend sein. Der Versuch jedoch, das Ganze mit dem Basisdokument durch eine Art Eingabemaske zu ersetzen, führt auf Abwege.

Nicht nur wird dadurch ein Formalismus in das Verfahren getragen, der eine Vielzahl von leidigen Zwischenstreitverfahren darüber, was denn nun streitig ist und was nicht, einlädt. Vor allem aber beraubt es die Rechtsanwält*innen eines zentralen Arbeitsmittels ihrer Berufsausübung. Schriftsätze geben den Anwält*innen die Möglichkeit, durch deren Inhalt, Aufbau, Gestaltung und Stil zu versuchen, den Prozessausgang in ihrem und vor allem im Sinn ihrer Mandantschaft zu prägen. Den Sachverhalt in einer bestimmten Art und Weise zu präsentieren, dass er nach der Überzeugung der Anwältin bzw. des Anwalts besonders gut geeignet ist, den Rechtsstreit zu gewinnen, das ist die hohe Kunst im Zivilprozess. Angesichts der übergroßen Bedeutung der schriftlichen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung sind Schriftsätze im Übrigen auch häufig faktisch die einzige Möglichkeit, auf den Ausgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen.

Gerade hier zeigen sich auch die Unterschiede der Anwält*innen. Zwischen einer gut geschriebenen, rechtlich präzisen und klar gegliederten Darstellung in dem einen Schriftsatz und einem wirren Konglomerat von ungeordneten Sachverhaltsbruchstücken und formelhaften Rechtsausführungen in einem anderen liegen oft Welten. Und das macht häufig einen entscheidenden Unterschied im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens.

Die Anwält*innen hier ihres wichtigsten Werkzeugs weitestgehend berauben zu wollen, ist nicht nur ein krasser Eingriff in deren Berufsfreiheit. Sie bringt mit Parteiautonomie und Beibringungsgrundsatz auch Grundpfeiler des Zivilprozesses ins Wanken. Der Wunsch nach Entlastung der Richter*innen geht auf diese Weise allein zu Lasten der Rechtsanwält*innen und – vor allem – ihrer Mandant*innen.

Der Ruf nach einem elektronischen Basisdokument ist vor diesem Hintergrund ebenso unangemessen, wie es wäre, wenn Rechtsanwält*innen die Abschaffung von richterlicher Rechtsfindung durch eine*n elektronische*n Basisrichter*in fordern würden. Auch wenn diese*r elektronische Basisrichter*in möglicherweise geeignet wäre, obrigkeitsstaatlicher Richterattitude und richterlichem Anwaltsbashing zu begegnen.

 

 

 

 

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