Bankenabwicklung: EU-Kommission nimmt kleine und mittlere Institute ins Visier

Die EU-Kommission legt Änderungsvorschläge zum Crisis Management and Deposit Insurance Framework („CMDI“) vor, die insbesondere kleinere und mittlere Institute vor Herausforderungen stellen dürften.
Jessica Glaser,
Dr. Nina Scherber
Dienstag, der 18. April 2023

Bankenabwicklungsregime soll praxistauglicher werden

Im Angesicht der jüngsten Bankenkrisen von Silicon Valley Bank und Credit Suisse könnte der Zeitpunkt für die heutige Veröffentlichung der Änderungsvorschläge des CMDI durch die EU-Kommission kaum besser gewählt sein.

Die EU-Kommission konstatiert, dass der europäische Bankenabwicklungsmechanismus in seiner aktuellen Gestalt den – als Folge der globalen Finanzkrise eingeläuteten –Paradigmenwechsel vom Bail-out (Haftungsübernahme durch den Staat) zum Bail-in (Haftungsübernahme durch Anteilseigner oder Gläubiger) bislang nicht bewirkt habe: Zu viele kleine und mittlere Institute seien im Ausfall noch immer mit Hilfe von Steuergeldern abgewickelt worden. Eine von der EU-Kommission identifizierte Ursache für diese Entwicklung ist der große Ermessenspielraum bei der Bewertung der Frage, ob die Abwicklung einer ausfallenden Bank im öffentlichen Interesse liegt, das sog. Public Interest Assessment (PIA).

Vor diesem Hintergrund will die Kommission die Abwicklung von insolventen Banken in der Bankenunion effizienter und einsatztauglicher gestalten.

Mit dem aktuell wieder umgehenden Schreckgespenst einer neuen Bankenkrise im Nacken dürfte es deutlich schwerer fallen, die geplanten Anpassungen des im Jahr 2014 über die BRRD und SRM-VO implementierten europäischen Abwicklungsregimes noch abzuwehren.

Unser zweiteiliger Blog beleuchtet überblicksartig die wichtigsten geplanten Änderungen. Der heutige Teil 1 befasst sich mit den Änderungen des PIA und den daraus resultierenden Auswirkungen für kleinere und mittlere Institute, die bislang nicht im Fokus des Abwicklungsregimes standen. Teil 2 behandelt die Vorschläge zur geänderten Haftungsreihenfolge.

Um welche Änderungen geht es?

Mit ihren Vorschlägen will die EU-Kommission folgende Änderungen im Abwicklungs- und Einlagensicherungsregime („KOM-Vorschlag“) umsetzen:

  • Ausdehnung der Abwicklung(splanung) gem. BRRD insbesondere auf regional tätige Institute durch Änderungen der Voraussetzungen des PIA sowie der vorgelagerten Definition der kritischen Funktion
  • Stärkung der für die Abwicklung zur Verfügung stehenden Finanzierungsmittel durch den (früheren) Einsatz von Mitteln der Einlagensicherung
  • Einführung einer einheitlichen einstufigen Haftungsklasse für Einleger, d.h. Abschaffung der Superpräferenz für Einlagensicherungssysteme (DGS) – diese können früher herangezogen werden
  • Änderung der Regelungen für das frühzeitige Eingreifen (early intervention), um Überschneidungen mit (den vorgelagerten) aufsichtlichen Maßnahmen zu vermeiden
  • Frühzeitige Information der Abwicklungsbehörde durch die Aufsichtsbehörde, um ein frühes Eingreifen zu gewährleisten.
  • Anpassungen der Einlagensicherungsrichtlinie.

PIA bleibt Ermessensentscheidung – deutliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs vorgegeben

Mit zwei scheinbar formalen Änderungen dehnt der KOM-Vorschlag die Anforderungen der BRRD umfassend auf kleine und mittlere Institute aus, und zwar durch

  • die Erweiterung der Definition der kritischen Funktion auch bei rein regionaler Bedeutung eines Instituts sowie
  • die Umkehrung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses zwischen Insolvenz und Abwicklung bei der Prüfung, ob die Abwicklung eines in die Krise geratenen Instituts im öffentlichen Interesse (PIA) steht.

Zweistufiges PI-Assessment

Eine Abwicklung (und damit auch die vorbeugende Abwicklungsplanung) ist nur zulässig (dann aber auch erforderlich), wenn in einer Krisenlage ein öffentliches Interesse an einer Abwicklung besteht, vgl. Art. 32 Abs. 1 lit. c BRRD; Art. 18 Abs. 1 lit. c SRM-VO.

Aus diesem Grund prüfen die Abwicklungsbehörden bei jedem Institut zunächst generell vorab, ob im Krisenfall ein öffentliches Interesse (Art. 32 Abs. 5 BRRD; Art. 18 Abs. 5 SRM-VO) an der Abwicklung vorliegen würde (= Prüfung des öffentlichen Interesses, Public Interest Assessment). Kommt die Abwicklungsbehörde zu dem Schluss, dass – auf Basis der aktuellen Betrachtung und Annahmen – bei einem Institut im Krisenfall voraussichtlich ein öffentliches Interesse an der Abwicklung besteht, stuft es dieses als abwicklungsrelevant bzw. als Abwicklungsinstitut ein. Daraus folgt dann, dass ein ausführlicher Abwicklungsplan geschrieben werden muss.

Im Fall einer tatsächlichen Krise wird diese Prüfung auf Basis der dann aktuellen Lage erneut durchgeführt. Bestätigt sich das Ergebnis der Vorabprüfung des PIA, erfolgt die Abwicklung des ausgefallenden Instituts nach den Vorgaben des einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus (BRRD/ SRM-VO). Stellt die Abwicklungsbehörde hingegen kein öffentliches Interesse an einer Abwicklung fest, wird das Institut nach den Vorgaben der nationalen (bislang nicht vereinheitlichten) Insolvenzrechtsordnungen (sog. Regelinsolvenz) liquidiert.

Die Einordnung eines Instituts als Abwicklungsinstitut mit der Folge einer Abwicklungsplanung bedeutet somit noch nicht zwingend, dass im Fall der Krise eine Abwicklung nach den Vorgaben des europäischen Abwicklungsmechanismus auch tatsächlich erfolgt. Es macht dies aber deutlich wahrscheinlicher.

Kritische Funktionen auch bei regionaler Bedeutung eines Instituts

Ein öffentliches Interesse liegt gem. BRRD bzw. SRM-VO unter anderem dann vor, wenn das betroffene Institut sog. „kritische Funktionen“ ausübt, so dass bei seinem Ausfall die Unterbrechung von für die Realwirtschaft wesentlichen Dienstleistungen oder eine Störung der Finanzstabilität zu befürchten wären.

Bislang war dafür allein die zu befürchtende Störung der Finanzstabilität auf (mindestens) gesamtnationaler bzw. europäischer Ebene maßgeblich. Nunmehr soll auch eine „Beeinträchtigung der Finanzstabilität auf nationaler oder regionaler Ebene“ (Art. 2 Abs. 1 Nr. 35 BRRD-E) ausreichen, um die Durchführung kritischer Funktionen durch ein Institut zu begründen.

Verhältnismäßigkeit – Umkehr des Regel-/ Ausnahmeverhältnisses bei der Ermessensentscheidung der Abwicklungsbehörde

Eine weitere Ausweitung des Abwicklungsrahmens folgt aus der Umkehr des der PIA -Bewertung zugrundeliegenden Regel-/ Ausnahmeverhältnisses: Nach der aktuellen Rechtslage war für einen positiven PIA erforderlich, dass die Abwicklung des in die Krise geratenen Instituts die Finanzstabilität besser gewährleisten kann als die nationale Regelinsolvenz.

Nunmehr wird diese Regel umgekehrt: Eine nationale Regelinsolvenz ist nur noch dann zulässig, wenn sie die Finanzstabilität besser gewährleistet als eine Abwicklung.

Zwischenfazit und Folgewirkungen

Die Zahl der Institute, die auf Basis der neuen Vorschläge als abwicklungsrelevant eingestuft werden, wird sich – wie von Seiten der EU-Kommission beabsichtigt – stark erhöhen. Betroffen sein dürften insbesondere Institute, die regional von Gewicht sind, also z.B. als Finanzierer in regionalen Wirtschaftssektoren stark vernetzt sind (z.B. Sparkassen und genossenschaftliche Kreditinstitute). Unter den Begriff des Instituts fallen in diesem Kontext darüber hinaus auch bestimmte Wertpapierfirmen.

Für die „Betroffenen“ kann dies in zweierlei Hinsicht kostenintensiv werden:

  • Die Abwicklungsbehörde wird für sie ausführliche Abwicklungspläne erarbeiten – und fordert dazu umfangreiche Zulieferungen an. Diese reichen von Szenarioanalysen über Testläufe bis hin zur Dokumentation sämtlicher Vertragsbeziehungen, und werden durch regelmäßige Work-Shops ergänzt. Dies bindet erhebliche personelle Kapazitäten im Institut.
  • Am Ende der Abwicklungsplanung ergeht ein Bescheid über die vorzuhaltende MREL-Quote (Minimum Requirement of Own Funds and Eligible Liabilities) – d.h. dem Kapital, das ein Institut zur Finanzierung (s)einer möglichen späteren Abwicklung dauerhaft vorhalten muss. Diese Quote beläuft sich bislang – vereinfach gesprochen – auf die doppelten Eigenmittel des Instituts. Hier sieht der KOM-Vorschlag für einlagenbasierte Institute Erleichterungen vor.

Ausblick

Auch wenn im anstehenden Konsultationsverfahren Änderungen zu erwarten sind, werden die Vorschläge der EU-Kommission erhebliche Auswirkungen haben. Angesichts der jüngsten Bankenschieflagen und der bisherigen Praxis der Abwicklungsbehörden sind zumindest bezüglich des Anwendungsbereichs keine nennenswerten Verwässerungen zu erwarten.

Eine Änderung der Zuständigkeit ist mit dem ausgeweiteten Anwendungsbereich allerdings – anders als vielfach zu lesen – nicht verbunden. Die BaFin wird für die meisten kleinen und mittleren Institute weiterhin die zuständige Abwicklungsbehörde bleiben.

Schließlich bleibt offen, ob im Krisenfall tatsächlich mehr Abwicklungen durchgeführt werden. Die Abwicklungsplanung erfolgt auf Basis einer Einschätzung der Zukunft; im Lichte der realen Krise wird dann ggf. anders entschieden. Dieses Manko werden die vorgelegten Entwürfe nicht beheben können.

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