Restrukturierungen bei Start-ups in der Krise – Untergang von Verlustvorträgen

Der Markt hat sich gedreht. Aus von Finanzinvestoren heftig umworbenen innovativen Start-ups in der Rechtsform der GmbH werden aktuell vielfach Krisenunternehmen, die größte Mühe haben, weitere Mittel für ihren Unternehmensausbau zu erhalten. Finanzierungsrunden sind - wenn sie überhaupt stattfinden - dadurch geprägt, dass Gründer bei den Konditionen von Investment- und Shareholder Agreements erhebliche Zugeständnisse abverlangt werden. Vor allem liegen die Bewertungen oftmals weit unter dem für die jeweils vorangegangene Finanzierungsrunde angesetzten Wert (Down Round).
Thomas Wisniewski
Mittwoch, der 24. Mai 2023

Start-ups sind gerade dadurch geprägt, dass sie in ihren Anfangsjahren Verluste machen und dadurch erhebliche körper- und gewerbesteuerliche Verlustvorträge generieren. Diese Verlustvorträge gehen nicht etwa durch Zeitablauf unter, sondern stehen dem Unternehmen grundsätzlich zur Verrechnung mit zukünftig (hoffentlich) anfallenden Gewinnen zur Verfügung. Steuerliche Verlustvorträge können also einen erheblichen wirtschaftlichen Wert haben, weil sie zur Minderung zukünftiger Steuerlasten genutzt werden können; dementsprechend kann eine zu erwartende Verlustnutzung in der Bilanz als Aktivposten (latente Steuern) gezeigt werden.

Im Rahmen von (weiteren) Anteilserwerben durch Start-up-Investoren droht der Untergang von steuerlichen Verlustvorträgen bei der Gesellschaft:

§ 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG) schränkt die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Verlusten bei Kapitalgesellschaften (GmbH / AG) im Fall der Übertragung von Anteilen ein. Werden nämlich innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einen Erwerber oder eine diesem nahestehende Person übertragen, sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar. Hat also z.B. ein Investor in 2021 30 % der Anteile erworben und erwirbt er nun in 2023 weitere 30 %, dann führt dies grundsätzlich zum vollständigen Untergang der Verlustvorträge der Gesellschaft. Zu beachten ist, dass eine Kapitalerhöhung der Übertragung von Anteilen gleichsteht, soweit jene zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten führt.

In den §§ 8c und 8d KStG sind zwar auch bestimmte Privilegierungen geregelt, wonach unter bestimmten Voraussetzungen ein Verlustuntergang vermieden werden kann. Die Voraussetzungen für eine solche Privilegierung sind jedoch streng und bedürfen einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall. So enthält § 8c Abs. 1 Sätze 5 – 8 KStG eine sog. Stille-Reserven-Klausel, wonach Verluste – trotz eines schädlichen Anteilseignerwechsels – erhalten bleiben, soweit die Gesellschaft über stille Reserven, also z.B. über selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter oder einen originären Firmenwert, verfügt. Das Vorhandensein stiller Reserven spiegelt sich natürlich im Verkehrswert der Gesellschaftsanteile. Kommt dieser Verkehrswert im Zuge einer Down Round unter Druck, verringert sich entsprechend das Verlustrettungspotential.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Verlustuntergang wegen schädlicher Anteilsübertragung vermieden werden, wenn der Anteilserwerb zum Zweck der Sanierung der Gesellschaft erfolgt. Insbesondere müsste dann die Gesellschaft im Zeitpunkt des Anteilserwerbs sanierungsbedürftig (Zahlungsunfähigkeit / Überschuldung) und sanierungsfähig (i.d.R. belegt durch einen Sanierungsplan) gewesen sein. Zu beachten ist außerdem, dass etwaige Sanierungsmaßnahmen (z.B. Verzicht auf werthaltige Gesellschafterforderungen) innerhalb von 12 Monaten nach dem Anteilserwerb erfolgen und mindestens 25% des Aktivvermögens der Gesellschaft entsprechen müssen.

Liegt kein Ausnahmetatbestand für den Wegfall von Verlustvorträgen wegen Anteilsübertragungen vor, dann kann der Erhalt der an sich untergegangenen Verlustvorträge noch über die Nutzung des Instituts des sog. fortführungsgebundenen Verlustvortrags nach § 8d KStG gelingen. Die Vorschrift des § 8d KStG ist sehr kompliziert geraten und in ihren Einzelheiten umstritten.

§ 8d Abs. 1 KStG setzt zunächst voraus, dass die Gesellschaft seit ihrer Gründung oder zumindest seit den letzten drei Veranlagungszeiträumen bis zum Anteilsveräußerungszeitpunkt (Beobachtungszeitraum I) ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten hat und in diesem Zeitraum bis zum Schluss des Veranlagungszeitraums des schädlichen Beteiligungserwerbs (Beobachtungszeitraum II) keine Ereignisse im Sinne des § 8d Abs. 2 KStG stattgefunden haben (z.B. Änderung des Unternehmenszwecks, Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs oder Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft).

Insgesamt besteht somit ein „historischer” Beobachtungszeitraum aus vier vollen Veranlagungszeiträumen. Zu beachten ist auch, dass ein fortführungsgebundener Verlustvortrag nur unter den in § 8d Abs. 2 KStG genannten Voraussetzungen erhalten bleibt. Danach wäre insbesondere die zukünftige Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs durch die Gesellschaft schädlich.

Fazit: Start-ups in der Krise sollten den Bestand ihrer steuerlichen Verlustvorträge nicht aus den Augen verlieren. Anteilsübergänge auf Investoren können zum Verlustuntergang und damit zu wirtschaftlichen Schäden bei der Gesellschaft und mittelbar auch bei den Altgesellschaftern führen. Das Thema „Erhaltung von Verlustvorträgen“ sollte bei Finanzierungsrunden bzw. bei Restrukturierungen mit Anteilsübertragungen (einschließlich Kapitalerhöhungen) sorgfältig geprüft werden.

Neuigkeiten