New Kids on the Board: Warum eine Babypause Vorstände und Aufsichtsräte nicht länger zur Mandatsniederlegung zwingen darf

Dr. Tobias de Raet
Donnerstag, der 26. März 2020

Die Zusammensetzung deutscher Vorstände und Aufsichtsräte entsprach lange Zeit dem Typus “alte, weiße Männer”. Insbesondere die boomende Startup-Szene trägt dazu bei, dass sich dieses Bild ändert. Frauen und Männern nehmen schon in ihren Dreißigern oder gar Zwanzigern Posten in Leitungs- und Kontrollgremien von Unternehmen ein.

Diese zu begrüßende Diversität stellt Frauen und Männer vor das Problem: Was passiert mit dem Mandat, wenn Nachwuchs ansteht? Exemplarisch steht hierfür der Fall des börsennotierten E-Commerce-Unternehmens Westwing. Mit einer nüchternen Meldung an den Kapitalmarkt kündigte Westwing Anfang März an, dass Unternehmensgründerin und Vorstandsmitglied Delia Lachance für voraussichtlich sechs Monate ihren Mutterschutz mit anschließender Elternzeit beginnen werde und “dafür wie rechtlich erforderlich von ihrem Amt als Vorstandsmitglied zurückgetreten” sei.

Der Fall hat eine breite öffentliche Debatte darüber ausgelöst, ob die derzeitige Rechtslage zeitgemäß ist und welche Änderungen denkbar sind.

Elterngeld und Mutterschaftsgeld sind nicht Kern des Problems

Bei der Identifizierung des Problems ist zwischen der Organstellung und dem Dienstvertrag zu unterscheiden.

Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaften sind ebenso wie GmbH-Geschäftsführer Organe der jeweiligen Aktiengesellschaft bzw. GmbH. Die mit dieser Stellung einhergehenden gesetzlichen Rechte und Pflichten treffen sie unabhängig davon, ob zusätzlich – wie dies bei Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführer regelmäßig der Fall ist – ein Dienstvertrag mit dem betreffenden Unternehmen besteht.

Auf Dienstverträge von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführer finden die Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit grundsätzlich keine Anwendung. Dies ist allerdings nicht Kern des Problems. Gut bezahlte Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder streben nicht nach staatlichen Unterstützungsleistungen, sondern wollen eine Rückkehrmöglichkeit nach Ende der Elternzeit.

Haftungsrisiko zwingt zur Mandatsniederlegung

Problematisch und Anlass für Mandatsniederlegungen ist das gesellschaftsrechtliche Haftungsregime.

Vorstandsmitglieder haben ihr Unternehmen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu führen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Verletzen sie ihre Pflichten, haften sie gegenüber dem Unternehmen auf Schadensersatz (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Vergleichbare Sorgfalts- und Haftungsregelungen gelten für GmbH-Geschäftsführer (§ 43 Abs. 1 und 2 GmbHG). Die Pflicht von Aufsichtsratsmitgliedern besteht darin, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG, § 52 Abs. 1 GmbHG). Auch sie haften bei Verletzung ihrer Überwachungspflicht dem Unternehmen auf Schadensersatz (§§ 116 Satz 1 AktG, 52 Abs. 1 GmbHG).

Anders als Arbeitnehmer, haben die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Geschäftsführer Aufgaben wahrzunehmen, auf deren Einhaltung die Rechtsöffentlichkeit vertraut. Gläubiger, Geschäftspartner und andere Dritte dürfen darauf vertrauen, dass die im Handelsregister eingetragenen Personen ihre Pflichten erfüllen.

Diese Pflichten gelten grundsätzlich auch dann, wenn ein Organmitglied kurzfristig oder dauerhaft verhindert ist. Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Geschäftsführer haften deshalb grundsätzlich auch während urlaubsbedingter, krankheitsbedingter oder sonstiger Abwesenheit. Grundsätzlich besteht keine Möglichkeit, die Organpflichten – sei es auch nur temporär – vollständig auf Vorstands-, Geschäftsführungs- bzw. Aufsichtsratskollegen zu delegieren. Jedenfalls eine Kontrollpflicht bleibt bei der Delegation von Aufgaben bestehen; einige Aufgaben sind gar nicht delegierbar.

Dies ist auch richtig: Die temporäre Abwesenheit der Unternehmensleitung oder deren Kontrollorgane darf nicht zu Lasten Dritter gehen, die von deren Abwesenheit keine Kenntnis haben. Der Aufschrei wäre zu Recht groß, würde ein Geschäftsführer nicht wegen einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht haften, weil er im Urlaub oder Sabbatical war. Missbrauchsmöglichkeiten wären hoch, könnte ein Organmitglied sich ohne Registerpublizität und frei von Gründen temporär seinen Pflichten entziehen.

Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Geschäftsführer, die ihre Pflichten nicht mehr erfüllen können oder wollen, müssen ihr Mandat niederlegen, andernfalls droht ihnen ein erhebliches Haftungsrisiko. Aufsichtsräte, die ein dauerhaft abwesendes Vorstandsmitglied nicht abberufen, droht ihrerseits ein Haftungsrisiko wegen der Verletzung der Überwachungspflicht.

Defizite der derzeitigen Rechtslage

Das Problem der derzeitigen Rechtslage liegt darin, dass die Mandatsniederlegung oder Abberufung aufgrund Krankheit, Elternzeit oder sonstiger Abwesenheit ein unumkehrbarer Akt ist.

Zwar regelt § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG, dass der Aufsichtsrat für einen im voraus begrenzten Zeitraum von maximal einem Jahr Aufsichtsratsmitglieder zu Stellvertretern von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellen kann. In der Praxis fristet diese Regelung allerdings aus mehreren Gründen ein Schattendasein:

  • Eine derartige Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Vorstand ist ein grundsätzlich systemfremder Eingriff in die Corporate Governance der Aktiengesellschaft und birgt Konfliktpotenzial.
  • Die Anforderungsprofile für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder unterscheiden sich fundamental. Ein guter Kontrolleur muss kein guter Unternehmensleiter sein. Sie bringt den Aufsichtsrat zudem in die schwierige Situation, den in den Vorstand entsandten Aufsichtsratskollegen ggf. wegen Unfähigkeit zur Unternehmensleitung wieder abberufen zu müssen.
  • Die Vorschrift schließt weder die Haftung des verhinderten Vorstandsmitglieds aus, noch befreit sie den Aufsichtsrat von der etwaigen Abberufungspflicht.

Für Aufsichtsräte fehlt eine § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechende Regelung, da sie systemwidrig wäre. Stattdessen besteht die Möglichkeit der Wahl von Ersatzmitgliedern des Aufsichtsrats. Diese werden zeitgleich mit den ordentlichen Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung bzw. – in mitbestimmten Gesellschaften – teilweise durch die Arbeitnehmer gewählt. Tritt der Ersatzfall ein, nimmt das Ersatzmitglied dauerhaft die Position des ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds eins. Es ist nicht vorgesehen, dass das Ersatzmitglied und das ordentliche Aufsichtsratsmitglied später wieder die Rollen tauschen (z.B. nach Ende der Elternzeit).

Reformüberlegungen

Der Gesetzgeber sollte eine Regelung schaffen, die Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Geschäftsführern in begründeten Fällen (Elternzeit, Mutterschutz, ggf. Sabbatical) eine vorrübergehendes Ruhenlassen ihres Mandats ermöglicht.

Eine solche Regelung wäre nicht nur im Interesse der betroffenen Frauen und Männer in diesen Positionen, sondern auch im Interesse der betroffenen Unternehmen. Diese haben ein erhebliches Interesse daran, hochqualifizierte Frauen und Männer an das Unternehmen zu binden und nicht das Risiko einzugehen, diese aufgrund einer Babypause oder eines Sabbaticals an die Konkurrenz zu verlieren.

Eine gesetzliche Neuregelung könnte sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

Vorstand/Geschäftsführer:

  1. Anspruch auf Pause: Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder sollten die Möglichkeit haben, aus klar definierten Gründen (z.B. Elternzeit, Mutterschutz) ihr Mandat für einen im Voraus bestimmten Zeitraum bis zu einer bestimmten Höchstdauer (z.B. bis zu einem Jahr) ruhen zu lassen.
  2. Haftungsausschluss: Für die Dauer der Pause sollten die pausierenden Personen weder gesetzliche Rechte noch Pflichten aus der Stellung als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied haben.
  3. Befristeter Ersatz: Der Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung sollten die Möglichkeit haben, für die Dauer der Pause ausnahmsweise ein Vorstandsmitglied bzw. einen Geschäftsführer befristet als Ersatz zu bestellen. Die Bestellung sollte nicht proaktiv, sondern erst anlässlich der Pause erfolgen dürfen. In bestimmten Fällen (z.B. wenn Vorstand oder Geschäftsführung nur aus einer Person bestehen), sollten Aufsichtsrat bzw. Gesellschafterversammlung die Pflicht haben, entweder befristet eine Ersatzperson oder dauerhaft ein weiteres Vorstandsmitglied/einen weiteren Geschäftsführer zu bestellen.
  4. Registerpublizität: Der Umstand sowie die Dauer der Pause sollten ins Handelsregister eingetragen werden müssen. Entsprechendes sollte für die Bestellung von befristeten Ersatzpersonen gelten.
  5. Automatische Rückkehr: Nach dem Ende der Pause sollten sämtliche Rechte und Pflichten des pausierenden Vorstandsmitglieds bzw. Geschäftsführers automatisch aufleben. Die Rechte und Pflichten der Ersatzperson sollten zugleich automatisch erlöschen.

Aufsichtsrat

  1. Anspruch auf Pause: Auch Aufsichtsratsmitglieder sollten die Möglichkeit haben, aus klar definierten Gründen (z.B. Elternzeit, Mutterschutz) ihr Mandat für einen im Voraus bestimmten Zeitraum bis zu einer bestimmten Höchstdauer (z.B. bis zu einem Jahr) ruhen zu lassen.
  2. Haftungsausschluss: Für die Dauer der Pause sollte die betreffende Person weder gesetzliche Rechte noch Pflichten aus der Stellung als Aufsichtsratsmitglied haben.
  3. Befristeter Ersatz: Die Hauptversammlung bzw. die Arbeitnehmer sollten die Möglichkeit haben, mit jedem ordentlichen Aufsichtsratsmitglied zugleich ein Ersatzmitglied zu wählen. Sofern Unternehmen der paritätischen oder drittelparitätischen Mitbestimmung unterliegen, sollte die Möglichkeit bestehen, für den Zeitraum der Pause, ein Ersatzmitglied befristet gerichtlich bestellen zu lassen.
  4. Registerpublizität: Der Umstand sowie die Dauer der Pause sollten ins Handelsregister eingetragen werden müssen. Entsprechendes sollte für die Bestellung von befristeten Ersatzpersonen gelten.
  5. Automatische Rückkehr: Nach dem Ende der Pause sollten sämtliche Rechte und Pflichten des pausierenden Aufsichtsratsmitglieds automatisch wiederaufleben. Die Rechte und Pflichten des Ersatzmitglieds sollten zugleich automatisch erlöschen.
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