Zahlungsaufschub in der Corona-Krise: Moratorium sichert Grundversorgung

Abhilfe für Corona-bedingte Zahlungsschwierigkeiten bei Verbrauchern und Kleinstunternehmern soll ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht schaffen. Die unscharfen Voraussetzungen, unter welchen Versorgungsunternehmen in Vorleistung gehen müssen, führen bisher zu einer laxen Handhabung des Moratoriums.
Sabine Meyer,
Fatima Sayed
Donnerstag, der 9. April 2020

Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-, und Strafverfahren wurde unter Art. 240 § 1 EGBGB ein Moratorium für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen eingeführt. Es soll den durch die Pandemie betroffenen Verbrauchern und Kleinstunternehmen ein zeitlich befristetes Leistungsverweigerungsrecht gewähren. Liegen die Voraussetzungen hierfür vor, müssen insbesondere Versorgungsunternehmen bis zum 30. Juni 2020 in Vorleistung gehen, im Falle der Verlängerung des Moratoriums sogar bis zum 30. September 2020. Der Gesetzeswortlaut lässt einige Fragen zu den Voraussetzungen und der Nachweiserbringung offen. Das führt in der Praxis bisher zu einer verbraucherfreundlichen Anwendung.

Erfasst sind Leistungen der Grundversorgung

Erklärter Zweck dieser Vorschrift ist, Verbraucher und Kleinstunternehmer (d.h. Unternehmer, die weniger als 10 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanz von unter 2 Millionen haben) nicht von Leistungen der Grundversorgung wie beispielsweise Strom, Gas, Telekommunikation, Pflichtversicherungen und (soweit zivilrechtlich geregelt) Wasser abzuschneiden. Erfasst werden nach dem Wortlaut des Moratoriums im Fall von Verbrauchern alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Damit sind alle Leistungen gemeint, die für den Bereich der Grundversorgung der Gesamtbevölkerung unerlässlich sind. Ausgenommen hiervon sind die Bereiche des Miet- und Darlehensrechts. Für diese Bereiche wurden eigenständige Regelungen getroffen. Für Kleinstunternehmer sind hierunter Dauerschuldverhältnisse zu verstehen, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind. Nicht erfasst werden öffentlich-rechtliche Versorgungsverhältnisse auf Grundlage einer Anschluss- und Gebührensatzung. Ebenfalls nicht erfasst werden Dauerschuldverhältnisse, die nach dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden.

Wann liegt ein Corona-bedingter Liquiditätsengpass vor?

Soweit so gut. Weniger aufschlussreich ist die neue Vorschrift jedoch in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts. Da dieses nur solchen Schuldnern zustehen soll, die pandemiebedingt ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllen können, verlangt Art. 240 § 1 EGBGB ferner, dass Verbraucher infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, die Leistung nicht mehr ohne Gefährdung ihres Lebensunterhalts oder des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen erbringen können. Ein Liquiditätsengpass bei einem Kleinstunternehmen liegt hingegen vor, wenn es infolge der Pandemie die Leistung entweder gar nicht mehr oder nicht ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs erbringen kann.

Wann beim Verbraucher eine Gefährdung des Lebensunterhalts oder beim Kleinstunternehmer eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs vorliegen soll, lässt sich weder dem Gesetzestext, noch der Gesetzesbegründung entnehmen.

Eine Gefährdung des Lebensunterhalts wird jedenfalls zu bejahen sein, wenn das verfügbare Einkommen die Pfändungsgrenzen des Verbrauchers unterschreitet und kein anderweitiges Vermögen zur Verfügung steht.

Beim Kleinstunternehmer liegt ein Liquiditätsengpass zunächst dann vor, wenn er die Leistungen gar nicht mehr erbringen kann. Ein Rückgriff auf Zahlungsunfähigkeit im insolvenzrechtlichen Sinne (§ 17 InsO) erscheint hierfür sinnvoll. Zahlungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die verfügbaren liquiden Mittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht decken und die Liquiditätslücke auch in den nächsten drei Wochen nicht gedeckt werden kann. Schwieriger zu beurteilen ist, wann die Leistung die wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Möglicher Maßstab hierfür könnte eine drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO sein. Wenn also der Kleinstunternehmer zum Zeitpunkt der Leistungsverweigerung noch liquide ist, sich aber abzeichnet, dass er aufgrund der eingebrochenen Einnahmen zukünftig fällig werdende Rechnungen für Leistungen, die zur Fortführung des Erwerbsbetrieb notwendig sind, nicht mehr wird begleichen können.

Wie erfolgt die Geltendmachung?

Das Gesetz spricht von einem Leistungsverweigerungsrecht. Es handelt sich dabei um eine Einrede, die von Verbrauchern oder Kleinstunternehmern ausdrücklich erhoben werden muss. Das bedeutet, dass der Zahlungsanspruch der Versorgungsunternehmen grundsätzlich entsteht. Er ist jedoch nicht durchsetzbar, sofern sich Verbraucher oder Kleinstunternehmer auf ihr Leistungsverweigerungsrecht berufen. Nicht ausreichend ist es daher, den Zahlungsaufforderungen ohne Ankündigung nicht nachzukommen. Im Bereich der Strom- und Wasserversorgung haben inzwischen zahlreiche Stadtwerke hierauf reagiert und ihren Kunden auf ihren Internetseiten entsprechende Formulare, sog. Eigenerklärungen, zur Verfügung gestellt.

Wie ist der Liquiditätsengpass nachzuweisen?

Den Nachweis hierfür haben Verbraucher und Kleinstunternehmen zu erbringen. Sie müssen nach der Gesetzesbegründung nicht nur belegen, dass sie in Zahlungsschwierigkeiten sind, sondern auch, dass diese Corona-bedingt eingetreten sind.

Die Kausalität zwischen Liquiditätsengpass und der mit der Pandemie einhergehenden Umstände wird in der Regel zu bejahen sein bei Unternehmern, die aufgrund behördlicher Anordnungen ihren Betrieb nicht führen können. Hierzu zählen insbesondere Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe, Einzelhandelsgeschäfte sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen. Kleinstunternehmer, deren Betrieb nicht unmittelbar aufgrund behördlicher Anordnung betroffen sind, aber wegen sonstiger pandemiebedingter Umstände gefährdende Liquiditätseinbußen verzeichnen, sind von Gesetzes wegen darauf angewiesen, diese Zusammenhänge darzulegen und, falls erforderlich, zu beweisen.

An einer Kausalität dürfte es regelmäßig fehlen, wenn die Forderungen schon vor dem 8. März 2020 rückständig waren. Denn dies spricht dafür, dass der Liquiditätsengpass nicht durch die Pandemie hervorgerufen wurde.

Für viele Versorgungsunternehmen wird eine ernsthafte Nachprüfung dieser Voraussetzungen im Hinblick auf die Masse der Kunden nicht zu bewerkstelligen sein. In den Formularen für die Eigenerklärung, beschränkt man sich bisher darauf, sich die Zahlungsschwierigkeiten infolge der Pandemie versichern zu lassen. Um die Sache handhabbar zu machen, sollen Verbraucher und Kleinstunternehmer auf zwei Zeilen ihre Umstände vortragen und mit Nachweisen, bspw. über Kurzarbeitergeld, belegen.

Besteht ein Anspruch auf reduzierte Abschlagszahlung?

Darüber hinaus findet man auf diesen Eigenerklärungen regelmäßig die Möglichkeit, statt einer vollständigen Stundung eine Reduzierung der Abschlagshöhe oder eine Ratenzahlung zu beantragen.

Das wirft die Frage auf, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn noch genug Liquidität bei Verbraucher und Kleinstunternehmer vorhanden ist, um die von Art. 240 § 1 EGBGB umfassten Verbindlichkeiten teilweise zu begleichen. Soll ihnen dann freistehen, welche Dauerschuldverhältnisse bedient werden oder muss die vorhandene Liquidität gleichmäßig auf alle offenen Forderungen verteilt werden? Die praktische Handhabbarkeit spricht eher gegen eine Pflicht zur teilweisen Begleichung der betroffenen Forderungen.

Unrechtmäßige Inanspruchnahme des Leistungsverweigerungsrechts

Trotz der bisher halbherzigen Nachprüfung der Voraussetzungen sollten Trittbrettfahrer gewarnt sein. Die unrechtmäßige Inanspruchnahme des Leistungsverweigerungsrechts zieht Verzugszinsen nach sich und unter Umständen auch die Geltendmachung von darüberhinausgehenden Verzugsschäden. Ferner kann das Versorgungsunternehmen wegen Zahlungsrückstands vertragliche Zurückbehaltungs- und Kündigungsrechte geltend machen. Ein daraufhin neu abgeschlossenes Dauerschuldverhältnis fällt dann nicht mehr in den Anwendungsbereich des Art. 240 § 1 EGBGB, der nur für Dauerschuldverhältnisse gilt, die bis zum 8. März 2020 geschlossen wurden.

Unzumutbarkeit für Unternehmen

Doch die Kehrseite der Medaille: Die Folgen der Stundungsmöglichkeiten von Verbrauchern und Kleinstunternehmern haben die jeweiligen Versorgungsunternehmen zu tragen. Diese sind vorleistungspflichtig, ohne zunächst eine monetäre Gegenleistung zu erhalten. Dies hat der Gesetzgeber ebenfalls gesehen und in Art. 240 § 1 Abs. 3 EGBGB berücksichtigt. Danach soll die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht der Verbraucher und Kleinstunternehmer nicht greifen, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht für den Gläubiger, also den jeweiligen Unternehmer, unzumutbar ist. Dies wird dann angenommen, wenn die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage seines Erwerbsbetriebs gefährden würde.

Das Gesetz schweigt jedoch auch an dieser Stelle, welche Voraussetzungen hieran geknüpft werden. Nach der Wortlautauslegung des Gesetzes, wonach von einer Gefährdung gesprochen wird, ist die Schwelle nicht so hoch angesetzt wie bei Kleinstunternehmern nach Art. 240 § 1 Abs. 2 EGBGB. Anders als bei Verbrauchern oder Kleinstunternehmern dürfte die Unzumutbarkeitsschwelle somit nicht erst im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Versorgungsunternehmen i.S.d. § 18 InsO sein. Diese Annahme ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung. Danach gilt das Leistungsverweigerungsrecht nicht (mehr), wenn der Leistungsaufschub aus Sicht des Gläubigers zu Ergebnissen führt, die so unzumutbar sind, wie es die Leistungserbringung für den Schuldner wäre. Das bedeutet, dass im Falle einer gleichmäßigen Betroffenheit von Versorgungsunternehmen und Verbraucher oder Kleinstunternehmern die Versorgungsunternehmen Vorrang genießen.

Nachweis der Unzumutbarkeit

Gleichwohl stellt sich auch hier wiederum die Frage der Nachweisbarkeit der Unzumutbarkeit.

Wann eine „wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs“ gefährdet ist, kann nicht allgemein beantwortet werden und variiert von Unternehmen zu Unternehmen. Sicherlich dürfte an dieser Stelle ausreichend sein, wenn das Unternehmen seinerseits staatliche Hilfe beanspruchen muss. Die Unzumutbarkeit liegt jedenfalls zu dem Zeitpunkt vor, zu dem die Voraussetzungen für die drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens gegeben wären.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst?

Vorstellbar ist, dass durch zahlreiche Leistungsverweigerungen die Unzumutbarkeit der Unternehmen infolgedessen erst eintreten wird. Das würde dazu führen, dass bestimmte Verbraucher und Kleinstunternehmer, die die Einrede der Leistungsverweigerung zu einem späteren Zeitpunkt erheben, sich somit nicht mehr hierauf berufen können. Damit gilt wie so oft: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

 

 

Fatima Sayed

Fatima Sayed

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