Welche Nachhaltigkeit passt zu mir? ESMA konkretisiert Nachhaltigkeitsbezug in Product Governance

Am 27. März 2023 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ihren Abschlussbericht mit den finalen Leitlinien zur Product Governance veröffentlicht.
Dr. Nina Scherber
Dienstag, der 4. April 2023

Worum geht es?

Die MiFID II Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen, die Finanzinstrumente (bei ESMA zusammen mit strukturierten Einlagen auch als „Produkte“ bezeichnet) für den Verkauf an Kunden herstellen oder an Kunden vertreiben, angemessene Product-Governance-Verfahren zu unterhalten, anzuwenden und zu überprüfen haben (vgl. Artikel 16 Absatz 3 und Artikel 24 Absatz 2 MiFID II, i.V.m. Artikeln 9 und 10 Del-RL MIFID II). Hierzu gehört insbesondere, dass für jedes Produkt ein Zielmarkt von Endkunden und eine Vertriebsstrategie, die mit dem ermittelten Zielmarkt übereinstimmt, festgelegt und regelmäßig überprüft wird. ESMA hatte hierzu im Juni 2017 konkretisierende Leitlinien erlassen, die den betroffenen Unternehmen Hinweise für die Bewertung des Zielmarktes an die Hand geben. Neben verschiedener anderer regulatorischer Entwicklungen hat ESMA vor allem die über das sog. sustainable finance package vom 21. April 2021 (siehe lindenpartners Blog vom 05. Mai 2021) in die Del-RL MiFID II aufgenommenen nachhaltigkeitsbezogenen Änderungen zum Anlass genommen, die Leitlinien zur Product Governance zu überprüfen und zu überarbeiten.

In einem am 8. Juli 2022 veröffentlichten Konsultationspapier hatte ESMA die Änderungsvorschläge zu den Leitlinien näher erläutert und zur Konsultation gestellt. Die nachhaltigkeitsbezogenen Änderungen der Leitlinien haben in der finalen Fassung im Wesentlichen redaktionelle bzw. nur geringfügige Änderungen erfahren.

Gleichlauf mit den Leitlinien zur Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen der Geeignetheitsprüfung  

Mit ihren Leitlinien (Rn. 20) möchte ESMA einen Gleichlauf mit den Leitlinien zu den MiFID II-Anforderungen an die Geeignetheit (siehe lindenpartners Blog vom 4. Oktober 2022) herstellen und auf diese Weise eine ausreichende Granularität des Zielmarktes gewährleisten.  Leitlinie 20 sieht daher vor, dass für den Zielmarkt die Definition von Nachhaltigkeitspräferenzen in Art. 2 Nr. 7 DelVO MiFID II ebenfalls maßgebend sein soll, d.h. Produkthersteller angeben sollen, ob bei dem betreffenden Produkt

  • ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Anlagen gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Taxonomie-VO investiert wird;
  • ein Mindestanteil des Produkts in nachhaltige Anlagen im Sinne von Artikel 2 Nr. 17 Offenlegung-VO (SFDR) investiert wird, bzw.
  • welche wesentlichen negativen Auswirkungen (PAI) auf Nachhaltigkeitsfaktoren das Produkt berücksichtigt, einschließlich der quantitativen oder qualitativen Kriterien, die diese Berücksichtigung belegen.

Für Nachhaltigkeitsmerkmale ist kein negativer Zielmarkt zu bestimmen

Nach Art. 9 Abs. 9, S. 2 Del-RL MiFID II sind im Rahmen des Zielmarktes eines Finanzinstrumentes auch etwaige Kundengruppen zu bestimmen, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen das Finanzinstrument nicht vereinbar ist (sog. negativer Zielmarkt).

Um sicherzustellen, dass Finanzinstrumente mit Nachhaltigkeitsmerkmalen auch für Kunden, die keine Nachhaltigkeitspräferenzen haben, leicht verfügbar bleiben (vgl. Erwägungsgrund 7 Del-RL MiFID II), sehen die Leitlinien (Rn. 81) vor, dass für Finanzinstrumente, die Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen, kein negativer Zielmarkt zu bestimmen ist. 

ESMA versteht den Begriff Mindestanteil im MiFID-Kontext weit

An ihrem bereits im Konsultationspapier (Rn. 27) dargelegten weiten Verständnis des Begriffs „Mindestanteil“ hält ESMA weiter fest: Auch wenn der Begriff seinen Ursprung in Taxonomie-VO und SFDR hat, soll der Begriff im MiFID-Kontext weiter zu verstehen sein und deshalb auch für Produkte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen gelten, die nicht in den Anwendungsbereich von SFDR und Taxonomie-VO fallen (Rn. 43). Dies betrifft beispielsweise Anleihen und Derivate. Nach Auswertung des Konsultations-Feedbacks zu diesem Aspekt hat ESMA in ihrem Abschlussbericht jedoch davon Abstand genommen, im Rahmen der Product Governance-Leitlinien konkrete Kriterien für die Bestimmung des Zielmarktes dieser Produkte darzulegen. Sie stellt jedoch entsprechende Praxisbeispiele und Erläuterungen, z.B. über Q&A, zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht. 

Wie geht es weiter?

Die Leitlinien werden nun zunächst in die EU-Amtssprachen übersetzt und auf der Website der ESMA veröffentlicht. Die Veröffentlichung der Übersetzungen in allen EU-Amtssprachen löst eine zweimonatige Frist aus, innerhalb derer die nationalen Aufsichtsbehörden der ESMA mitteilen müssen, ob sie die Leitlinien einhalten oder einzuhalten beabsichtigen.

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