Kommt eine Regulierung von ESG-Ratings?
Zunehmende Bedeutung von ESG-Ratings…
Nachhaltiges Investieren liegt derzeit im Trend – sowohl Privatanleger als auch Asset Manager richten ihre Investmententscheidungen zunehmend am Faktor Nachhaltigkeit aus. Dabei sind ESG-Ratings von immenser Bedeutung. Denn der Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten und Ratings ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung nachhaltiger Anlagestrategien. Darüber hinaus verstärken die europäischen Initiativen im Rahmen der Sustainable Finance Regulierung die Nachfrage entsprechender ESG-Daten, da sie Finanzmarktteilnehmer unter anderem dazu verpflichten, den Umgang mit Nachhaltigkeitsfaktoren offenzulegen.
ESMA hat die Regulierung von ESG-Ratings jüngst (28. Januar 2021) in einem Brief an die Kommission als wesentliche Herausforderung im Bereich Sustainable Finance hervorgehoben.
…und bestehende Defizite…
ESG-Datendienstleister, die nachhaltigkeitsbezogene Ratings und Daten zur Verfügung stellen, agieren bislang weitgehend unreguliert. Dies hat jüngst auch die Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion der EU Kommission (GD FISMA) in einer Ende letzten Jahres veröffentlichten Studie zu nachhaltigkeitsbezogenen Ratings, Daten und Forschung kritisiert. Als Kernprobleme benennt die Studie insbesondere eine mangelnde (Methoden-)Transparenz, das Fehlen einheitlicher Standards und Definitionen, die Gefahr von Interessenkonflikten, mangelnde Aktualität, Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ratings und Daten sowie die Existenz von Verzerrung und geringer Korrelation zwischen Nachhaltigkeits-Ratings.
Ein ähnliches Bild ergab die Konsultation der Kommission zu ihrer „Renewed Sustainable Finance Strategy“. Ein Großteil der Stakeholder gab an, dass sie die Qualität, Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit von ESG-Daten und Ratings derzeit als schlecht ansehen. 74% der Antwortenden befürworteten Maßnahmen der EU in diesem Bereich. Stakeholder sahen insbesondere die fehlende Standardisierung der ESG-Berichterstattung, der Daten und Kennzahlen sowie die mangelnde Transparenz der ESG-Datenanbieter hinsichtlich ihrer Methoden und der Daten, die sie für ihre Analysen verwenden als problematisch an. Sie äußerten ferner Bedenken hinsichtlich der zunehmenden Konzentration auf dem Markt für ESG-Ratings und Datenanbieter sowie hinsichtlich potenzieller Interessenkonflikte.
…lassen den Ruf nach Regulierung lauter werden
Vor diesem Hintergrund werden von verschiedenen Seiten konkrete Schritte zur Regulierung von ESG-Datendienstleistern gefordert. Bereits Ende des Jahres (2020) haben die französische Autorité des marchés financiers (AMF) und die niederländische Autoriteit Financiële Markten (AFM) ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht, in dem sie sich für eine europäische Regulierung von ESG-Datendienstleistern aussprechen. Dadurch sollen insbesondere eine bessere Vergleichbarkeit der Methoden und mehr Transparenz geschaffen werden. Außerdem gelte es, Interessenkonflikte und eine Abhängigkeit von einigen wenigen Anbietern zu vermeiden. Auch ESMA regt in ihrem Brief an die Kommission (vom 28. Januar 2021) eine Regulierung von ESG-Ratings an, um deren Qualität und Verlässlichkeit sicher zu stellen.
Die Aufsichtsbehörden scheinen sich in den Kernpunkten eines künftigen Regulierungsrahmens weitgehend einig. Nach Auffassung sowohl von AMF und AFM als auch von ESMA sollte eine weite Definition des Begriffs „ESG-Rating“ festgelegt werden. Dadurch sollen möglichst viele der bisher auf dem Markt verfügbaren Bewertungs-Tools erfasst und ein angemessener Anlegerschutz gewährleistet werden. Dabei sei die Kohärenz mit Definitionen in anderen Bereichen der Sustainable Finance Regulierung sicherzustellen.
Außerdem befürworten die Aufsichtsbehörden – wenig überraschend – die Beaufsichtigung von juristischen Personen, die ESG-Ratings und -Bewertungen abgeben. Solche Unternehmen sollten von einer öffentlichen Behörde registriert und beaufsichtigt werden. Dies soll gewährleisten, dass ESG-Datendienstleister denselben (Mindest-)Vorgaben hinsichtlich Organisationspflichten, Umgang mit Interessenkonflikten und Transparenzanforderungen unterworfen sind. Zusätzlich befürworten die Aufsichtsbehörden spezifische Produktanforderungen für ESG-Ratings und -Bewertungen unter Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes. Diese sollen dazu führen, dass ESG-Ratings auf aktuellen, verlässlichen und transparenten Datenquellen beruhen und nach robusten Methoden entwickelt werden, die transparent sind und von den Anlegern hinterfragt werden können.
Künftig einheitliche Aufsicht von ESG-Datendienstleistern durch ESMA?
Sowohl AMF und AFM als auch ESMA sprechen sich dafür aus, dass ESMA (selbst) künftig die Aufsicht für ESG-Datendienstleister übernimmt. Ein entsprechendes Mandat der ESMA wäre aufgrund der bereits bestehenden direkten Aufsicht von Rating-Agenturen durch ESMA durchaus naheliegend. Da Rating-Dienstleistungen regelmäßig auch grenzüberschreitend ausgeübt und nachgefragt werden, erscheint dies auch vor dem Hintergrund der Sicherstellung einer einheitlichen Aufsichtspraxis sinnvoll. Weitere Synergien mit Blick auf Transparenz und Anlegerschutz könnten sich ergeben, wenn ESMA auch mit der Aufsicht über die Zertifizierungsstellen im Rahmen des geplanten Europäischen Green Bond Standard betraut würde.