EU-Kommission konsultiert die Bewertungskriterien für die nicht klimabezogenen Umweltziele der Taxonomie

Die Kommission stellt die Technical Screening Criteria für die vier verbleibenden Umweltziele der Taxonomie im Environmental Delegated Act zur Konsultation. Daneben schlägt sie Änderungen für die Klassifizierung der Schiff- und Luftfahrtsbranche sowie Übergangsregeln für die Offenlegung nach Art. 8 Taxonomie-VO vor.
Dr. Nils Christian Ipsen,
Leon Blacher
Freitag, der 21. April 2023

Regulatorischer Überblick

Die Kommission stellt Entwürfe von zwei Delegierten Rechtsakten zur Taxonomie-VO zur Konsultation, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten sollen. Die Taxonomie-VO ermöglicht eine Klassifizierung wirtschaftlicher Aktivitäten als ökologisch nachhaltig, wenn sie (i) einen wesentlichen Beitrag zu einem Nachhaltigkeitsziel leisten, (ii) ohne einem Nachhaltigkeitsziel erheblich zu schaden (do no significant harm („DNSH-Kriterium“) und (iii) ein in Art. 18 Taxonomie-VO festgelegter (sozialer) Mindestschutz eingehalten wird.

Konkretisiert werden die ersten beiden Voraussetzungen durch sog. technische Bewertungskriterien (Technical Screening Criteria („TSC“)) über delegierte Verordnungen der EU-Kommission („DelVO“). Bisher sind DelVO mit TSC für die klimabezogenen Nachhaltigkeitsziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in Kraft („Climate Delegated Act“, kürzlich um die Klassifizierung von Kernkraft und Gas erweitert). Darüber hinaus sind bereits Konkretisierungen zu den Offenlegungspflichten nach Art. 8 der Taxonomie-VO in Kraft („Disclosure Delegated Act“).

Die jetzt zur Konsultation gestellten Entwürfe enthalten TSC für die weiteren vier nicht klimabezogenen Umweltziele („Environmental Delegated Act“) sowie Änderungen des Climate Delegated Act und des Disclosure Delegated Act. Die Entwürfe basieren auf Empfehlungen der Platform on Sustainable Finance („PoSF“) und wurden mit der Sachverständigengruppe der Mitgliedsstaaten beraten. Die delegierte Verordnung konkretisiert Aktivitäten für die Umweltziele

  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme 

Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft: Für viele Tätigkeiten neue Möglichkeiten für Taxonomiekonformität

Die meisten neu klassifizierten Level 2-Vorgaben beziehen sich auf das Umweltziel Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft. Die Vorgaben sind bspw. für die Immobilienbranche besonders relevant. Neubau und Renovierungen von Gebäuden können bereits einen wesentlichen Beitrag zu den klimabezogenen Umweltzielen leisten (Ziff. 7.1 und 7.2 Climate Delegated Act). Nun wird die Möglichkeit eines wesentlichen Beitrags auch zur Kreislaufwirtschaft eröffnet. Erstmals erfasst die Taxonomie zudem den Abriss und die Zerstörung von Gebäuden, Straßen, Brücken Pipelines, Kraftwerken und anderen Infrastrukturen als eigenständige Tätigkeit. Im Climate Delegated Act waren Pflichten beim Abriss bisher lediglich als DNSH-Kriterien zu berücksichtigen.

Darüber hinaus klassifizieren die TSC Aktivitäten des produzierenden Sektors – etwa Herstellung von Plastikverpackungen und elektronischer Geräte – aber auch Tätigkeiten im Dienstleistungssektor, etwa das Angebot von IT/OT-datenbasierte Lösungen und Software. Hier ist ein wesentlicher Beitrag zur Kreislaufwirtschaft oft durch die digitale Erfassung und Verlängerung des Lebenszyklus von Produkten möglich (neben weiteren Voraussetzungen).

Biodiversität: In aller Munde, aber nicht im Environmental Delegated Act

Trotz des medialen und wissenschaftlichen Schlaglichts auf Biodiversität werden hier nur zwei Aktivitäten aufgezählt: Touristische Unterbringung und Tätigkeiten zur Erhaltung, einschließlich Wiederherstellung, von Lebensräumen, Ökosystemen und Arten.

  • Bemerkenswert ist dabei, dass die TSC keine Aktivitäten im Sektor Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft klassifizieren, da „eine weitere Bewertung und Justierung der Kriterien erforderlich sein werde“ (Ziff. 1.1 Explanatory Memorandum Environmental Delegated Act). Diesen Sektor hat die PoSF in ihrem Bericht aus März 2022 noch als Impact-Sektor identifiziert und Anforderungen an Aktivitäten detailliert ausgearbeitet (S. 6 bis 116 Anhang zum Bericht März 2022). Schon im Climate Delegated Act wurde die Landwirtschaft ausgeklammert.

Da sich der Klimawandel voraussichtlich auf alle Wirtschaftsaktivitäten auswirken wird, sollen sämtliche TSC langfristig für alle Aktivitäten Kriterien enthalten, die sich auch auf das Umweltziel Anpassung an den Klimawandel beziehen. Die im Environmental Delegated Act vorgelegten TSC enthalten diese Kriterien indes noch nicht. Diese Kriterien werden in zukünftigen TSC folgen.

Auch der Disclosure Delegated Act ist betroffen: Übergangsregeln für die neu klassifizierten Aktivitäten

In Bezug auf den Disclosure Delegated Act schlägt die EU-Kommission folgende Änderungen vor: :

  • Für Nichtfinanzielle Unternehmen soll ein Phase-In für Aktivitäten des Environmental Delegated Act – also etwa der oben erläuterten Aktivitäten der Immobilienbranche – und bestimmter Tätigkeiten des Climate Delegated Act gelten: Bis Ende 2024 müssen nichtfinanzielle Unternehmen bspw. nur die Taxonomiefähigkeit, nicht aber die Taxonomiekonformität dieser Aktivitäten offenlegen. Die KPIs der Taxonomiekonformität (OpEx, CapEx und Umsatz) müssen für die o.g. Tätigkeiten dann ab 1. Januar 2025 abgebildet werden.
  • Finanzunternehmen sollen parallel dazu für dieselben Tätigkeiten eine Asset Ratio von taxonomiefähigen und nicht taxonomiefähigen Vermögenswerten abbilden. Die KPIs für Finanzunternehmen (insb. die Green Asset Ratio) müssen die o.g. Tätigkeiten dann ab 1. Januar 2026 abbilden.

Kontroverse Änderungen des Climate Delegated Act für Luft- und Schifffahrtsbranche

Daneben werden neue TSC für die klimabezogenen Umweltziele zur Konsultation gestellt. Unter anderem werden Kriterien für die Flug- und Schifffahrtsbranche aufgenommen bzw. geändert. Vielfach kritisiertes Kernstück der TSC für die Flugbranche bleibt, dass die Herstellung effizienterer neuer Flugzeuge taxonomiekonform ist, wenn die jeweilige  Flugzeugflotte sich dadurch nicht vergrößert – und zwar auch dann, wenn die neuen Flugzeuge mit konventionellem Kraftstoff angetrieben werden. Der Flugbetrieb muss allerdings ab 2028 zu 100% mit nachhaltigem Kraftstoff (SAF) erfolgen.

Die Schifffahrt war bereits im Climate Delegated Act klassifiziert worden. Der nun zur Konsultation gestellte Änderungsvorschlag enthält neue Möglichkeiten für die Güter- und Personenbeförderung in der See- und Küstenschifffahrt  (Ziff. 6.10 und 6.11 Climate Delegated Act), dauerhaft mit konventionellen Kraftstoffen betrieben und zugleich als taxonomiekonform eingestuft zu werden. Voraussetzung ist, dass die Energieeffizienz bestimmten Anforderungen entspricht. Diese Ausnahmen waren nicht im ergänzenden Anhang der PoSF zu ihrem Bericht aus März 2022 enthalten und werden in der Öffentlichkeit teilweise als Greenwashing kritisiert.

Ausblick: Greenwashing oder notwendige Einbeziehung von Übergangstätigkeiten?  

In der Öffentlichkeit lösten die neue Klassifizierung der Schiff- und Luftfahrt hinsichtlich der klimabezogenen Nachhaltigkeitsziele teilweise empörte Reaktionen der konsultierten Stakeholder aus. Dabei dürfte der Beweggrund der Kommission gewesen sein, diesen Branchen den dringend erforderlichen Übergang zu erleichtern. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission nach diesen Reaktionen mittelfristig vielleicht doch eine Transformationstaxonomie für solche Aktivitäten schafft, für die gegenwärtig keine gangbaren nachhaltigen Alternativen bestehen. Bisher hat sie die entsprechenden Vorschläge nicht aufgegriffen. Stellungnahmen zu den konsultierten Entwürfen können nur bis zum 3. Mai 2023 eingereicht werden.

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