Es bleibt komplex: ESMA veröffentlicht finale Leitlinien zur Nachhaltigkeits-präferenzabfrage
Worum geht es?
Am 23. September 2022 hat ESMA den Abschlussbericht mit ihren finalen Änderungen der Leitlinien zu einigen Aspekten der MiFID II-Anforderungen an die Geeignetheit (Leitlinien) veröffentlicht. Die geänderten Leitlinien konkretisieren die Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2021/1253, die als Teil des Sustainable Finance Package vom 21. April 2021 von der EU-Kommission angenommen wurde (siehe Lindenpartners Blog vom 05. Mai 2021). Die Verordnung ändert die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 (MiFID II-DelVO) und ergänzt diese um Vorgaben über die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen in bestimmte organisatorische Anforderungen und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen. Seit dem 02. August 2022 gilt die Delegierte Verordnung in allen EU-Mitgliedstaaten.
Kund:innen sind nach ihrer Nachhaltigkeitspräferenz zu befragen
Herzstück der Delegierten Verordnung ist die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage im Rahmen der MiFID II-Geeignetheitsprüfung. Seit 02. August 2022 sind Wertpapierinstitute verpflichtet, im Rahmen der Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kund:innen abzufragen. Eine solche Abfrage soll im Rahmen der Geeignetheitsprüfung erfolgen und regelmäßig aktualisiert und überprüft werden. Mit ihren geänderten Leitlinien konkretisiert ESMA nun insbesondere Inhalt und Verfahrensablauf der Nachhaltigkeitspräferenzabfragen. Der Abschlussbericht fasst das aus der vorangegangenen Konsultation (27. Januar -27. April 2022) erhaltene Feedback zusammen und erläutert, inwieweit dieses in der finalen Fassung der Leitlinien berücksichtigt worden ist.
Ein Vergleich der finalen Leitlinien mit der Konsultationsfassung vom 27. Januar 2022 zeigt, dass ESMA die grundsätzliche Struktur der geänderten Leitlinien zur Nachhaltigkeitspräferenzabfrage beibehalten hat, einige inhaltliche Details sowie Präzisierungen wurden jedoch vorgenommen.
ESMA gibt Instituten mehr Zeit
Neben den Herausforderungen bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Beratung aufgrund fehlender oder unzuverlässigen ESG-Daten wies das aus der Konsultation erhaltene Feedback auch auf die Komplexität der Sustainable Finance-Regulierung hin, die eine rasche Umsetzung der regulatorischen Anforderungen erschwere. Die Forderungen nach einer 12-monatigen Umsetzungsphase hat ESMA zwar nicht aufgegriffen. Sie ist den Instituten aber zumindest insoweit entgegengekommen, als die Leitlinien – nicht wie ursprünglich geplant zwei Monate – sondern erst sechs Monate nach der Veröffentlichung der Übersetzung auf der Webseite der ESMA anzuwenden sind, wobei in Deutschland dabei zudem die Übernahme der Leitlinien in die MaComp durch die BaFin maßgeblich ist. In diesem Zusammenhang weist ESMA jedoch darauf hin, dass die Institute ungeachtet des Inkrafttretens der ESMA-Leitlinien die rechtlichen Anforderungen nach der Delegierten Verordnung in jedem Fall bereits seit dem 2. August 2022 vollständig zu erfüllen haben.
Mindestanteil an Nachhaltigkeit: Wie nachhaltig darf es sein?
Nach Art. 2 Abs. 7 lit. a – c MiFID II-DelVO, der durch die ESMA-Leitlinien näher konkretisiert wird, sollen Kund:innen angeben, ob und inwiefern eines oder mehrere nachhaltige Finanzinstrumente in ihre Anlage einbezogen werden sollen, die
- einen Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen i.S.d. Taxonomie Verordnung (VO (EU) 2020/855) angelegen,
- einen Mindestanteil in nachhaltige Investitionen i.S.d. SFDR (VO (EU) 2019/2088) angelegt, und/oder
- die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen.
Schwierigkeiten bei der Anwendung der Vorgaben bereitet der Praxis dabei u.a. die Berechnung der Mindestanteile, da hier bislang insbesondere für die Nachhaltigkeitspräferenz nach lit. b geeignete und insbesondere vergleichbare Berechnungsparameter zur Ermittlung der Mindestanteile fehlen. Die finalen Leitlinien sehen hierfür nun insoweit eine gewisse Erleichterung vor, als klargestellt wird, dass die Mindestanteile nicht in Form eines genauen Prozentsatzes erfragt werden müssen, sondern die Erfassung von Mindestprozentsätzen ausreichend ist.
Nachhaltigkeitspräferenz im Kundenprofil ist auf Wunsch sofort zu aktualisieren …
Grundsätzlich soll die Nachhaltigkeitspräferenz spätestens bei der nächsten regelmäßigen Aktualisierung der Kundeninformationen nach dem Inkrafttreten der MiFID II-DelVO aktualisiert werden. Die finalen Leitlinien sehen nun vor, dass Kund:innen die Möglichkeit haben sollen, ihr Profil sofort aktualisieren zu lassen, wenn sie dies wünschen. Verlangen Kund:innen hingegen nicht die sofortige Aktualisierung ihres Profils, so gelten sie für den Zeitraum bis zur Erlangung der Information über die Nachhaltigkeitspräferenzen als “nachhaltigkeitsneutral”. Dies hat zur Folge, dass diesen Kund:innen sowohl Produkte mit als auch ohne nachhaltigkeitsbezogene Merkmale(n) empfohlen werden können.
… und kann auch angepasst werden
Art. 54 Abs. 10 MiFID II- DelVO sieht vor, dass Kund:innen ihre Nachhaltigkeitspräferenz anpassen können, wenn kein Finanzinstrument der Nachhaltigkeitspräferenz entspricht. Um unlauteren Verkaufspraktiken und Greenwashing hierdurch kein Einfallstor zu bieten, ist die Kundenentscheidung über die Anpassung nebst einer Begründung aufzuzeichnen und regelmäßig zu kontrollieren. Erst nachdem Kund:innen ihre Anpassungsabsicht zum Ausdruck gebracht haben -so die finalen ESMA-Leitlinien-, dürfen die Institute Informationen über das ihnen verfügbare Angebot an Finanzprodukten mit Nachhaltigkeitsmerkmalen offenlegen. Zu berücksichtigen ist mit Blick auf den Anpassungsprozess, dass sich die Anpassung nach den Vorgaben der Leitlinien immer nur auf die konkrete Anlageberatung und nicht auf das Profil des Kunden im Allgemeinen bezieht, was den Abfrageprozess in der Praxis insgesamt schwerfälliger macht.
Mehr Flexibilität bei Betrachtung des gesamten Kundenportfolios
Erleichterung in der praktischen Anwendung dürfte hingegen die in den finalen Leitlinien neu ergänzte Tz. 88 bringen: Wird die Geeignetheitsprüfung auf das Gesamtportfolio der Kund:innen durchgeführt, kann die Nachhaltigkeitspräferenz (einschließlich der Mindestanteile) im Durchschnitt auf das gesamte Portfolio oder auf einen Teil oder Prozentsatz des Portfolios, den der Kunde in Produkte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen investieren möchte, angewendet werden.
Fazit
Anders als vielleicht von Institutsseite erhofft, bleibt der anspruchsvolle Prozess der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage auch nach den finalen Leitlinien herausfordernd in der praktischen Umsetzung. Die Vorgaben der MiFID II-DelVO und ihre Konkretisierung durch ESMA zeigen erneut, dass Transparenz das Mittel der Wahl ist, um den zahlreichen Fallstricken im Abfrageprozess zu begegnen.