Entscheidung des BGH: Keine pauschale Mietreduzierung für Geschäfte im Lockdown, Umstände des Einzelfalls maßgeblich
COVID 19 ist allgemeines Lebensrisiko, dass keiner Mietvertragspartei allein zuzuweisen ist
Die gute Nachricht für Mieter: Der BGH hat klargestellt, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie erfolgt, dem Gewerbemieter grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen kann. Derartige staatliche Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben gingen über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus, für sie könne keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden.
Das setzt der Rechtsprechung vieler Gerichte in erster und zweiter Instanz ein Ende, die bisher jeden Anspruch des Mieters auf Vertragsanpassung oder Reduzierung der Miete grundsätzlich aufgrund dogmatischer Überlegungen ablehnten.
Keine automatische Mietanpassung, keine pauschale Lösung
Die schlechte Nachricht für Mieter und Gerichte: Eine coronabedingte Geschäftsschließung führt jedoch nicht automatisch zur Anpassung der Miete, es gibt also keine einfache Pauschallösung, insbesondere keine grundsätzliche Reduzierung der Miete um die Hälfte. Diese Halbe/Halbe-Regelung wurde von einigen Gerichten bisher mit dem Argument vertreten, dass das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache beide Mietvertragsparteien gleich treffe. Laut BGH werde eine pauschale Betrachtungsweise den Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit des § 313 BGB jedoch nicht gerecht. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung aller Umstände für die Entscheidung der Frage, ob und inwieweit sich die Miete reduziere.
Umstände des Einzelfalles
Als für die Abwägung relevante Umstände nennt der BGH:
- Nachteile, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind, vor allem Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung für das konkrete Mietobjekt;
- Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste zu vermindern;
- finanzielle Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erhalten hat, nicht jedoch Darlehen;
- Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung;
- nicht näher bezeichnete Interessen des Vermieters.
Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei dagegen nicht erforderlich.
Auswirkungen der Entscheidung in der Praxis
Diese Entscheidung des BGH erleichtert – entgegen aller Hoffnungen der Mieter und im Zweifel auch der mit derartigen Streitigkeiten befassten Gerichte – die bundesweiten Auseinandersetzungen der Parteien von gewerblichen Mietverhältnissen über die Höhe der Miete in Zeiten des Lockdowns oder anderer hoheitlicher Beschränkungen nicht. Jeder Einzelfall ist anders, die Umstände sind im Zweifel streitig und die Entscheidung des BGH gibt den Parteien und Gerichten keine konkreten Hilfen zur Bewertung der Umstände an die Hand. Das dürfte dazu führen, dass nun viele Vermieter, die bisher die Füße stillgehalten haben, (vermeintlich) ausstehende Mieten einklagen und Mietverhältnisse kündigen werden. Auch Mieter, die vorsorglich die volle Miete unter Vorbehalt überwiesen haben, werden nun durch das BGH-Urteil ermutigt, Rückzahlung eines Teils der Miete verlangen. Den deutschen Gerichten dürfte eine neue Klagewelle bevorstehen.
Ungeklärtes Verhältnis von Mietanpassung zu staatlichen Hilfen
Nicht berücksichtigt hat der BGH in seinem Urteil die für beide Vertragsparteien praktisch relevante Frage, in welchem Verhältnis ein Anspruch des Mieters auf Mietreduzierung – dessen Inhalt ja u.a. von den erhaltenen staatlichen Hilfen abhängen soll – und die Ansprüche des Mieters auf staatliche Hilfen, insbesondere Überbrückungshilfen, zueinander stehen. Die staatlichen Hilfen wurden bisher überwiegend nur vorläufig bewilligt und ausgezahlt, die Schlussabrechnungen stehen noch aus. Es steht zu befürchten, dass bei den Überbrückungshilfen, in deren Rahmen Mietverbindlichkeiten als Fixkosten berücksichtigt werden, die Miete nach diesem Urteil nun nicht mehr in voller Höhe anerkannt wird mit dem Argument, der Mieter habe ja einen Anspruch auf Vertragsanpassung gerichtet auf Mietreduzierung – in unbekannter Höhe. Dann würde sich die Katze in den Schwanz beißen, zum Nachteil allein des Mieters.