Digitalisierung mit der Handbremse: DiRUG und DiREG treten in Kraft

Ab dem 1. August 2022 können GmbHs online gegründet werden – das „Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) und das „Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie“ (DiREG) machen es möglich. Was bedeutet das, wo stehen wir und was kommt noch?
Dr. Bastian Brunk,
Dr. Alexander Frhr. von Rummel
Montag, der 1. August 2022

Deutsches Gesellschaftsrecht und Digitalisierung: Zwei Themen, die bisher leider nur wenig Berührungspunkte hatten. Einer der Gründe dafür ist, dass für viele gesellschaftsrechtliche Vorgänge – z.B. Gründung der Gesellschaft, Anmeldung der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, Übertragung von Gesellschaftsanteilen oder Satzungsänderung – die notarielle Form zu wahren ist. Die Beteiligung von Notarinnen und Notaren soll eine vorbeugende Rechtspflege ermöglichen, die Missbrauch entgegenwirkt, späteren Streit vermeidet und Grundlage einer qualitativ hochwertigen Registerpublizität ist. Solange jedoch das Beurkundungsverfahren physische Präsenz an einem bestimmten Ort erfordert, ist es Hemmschuh für die Digitalisierung und die damit verbundene Verfahrensvereinfachung und ‑beschleunigung. Dieser Zielkonflikt ist durch DiRUG und DiREG nun entschärft – aber mit spürbar angezogener Handbremse.

Aus eins mach zwei – von der DiRL zu DiRUG und DiREG

Beide Gesetze gehen auf die europäische Digitalisierungsrichtlinie (EU) 2019/1151 zurück und setzen deren Bestimmungen ins deutsche Recht um. Das DiRUG vom 5. Juli 2021 war insoweit noch auf eine Minimalumsetzung ausgelegt; mit dem vom Bundestag am 22. Juni 2022 verabschiedeten DiREG steuert der Gesetzgeber noch vor dem Inkrafttreten des DiRUG nach. Da die Gesetze eine Regelungseinheit bilden und überwiegend ab dem 1. August 2022 Anwendung finden, sind sie zusammen zu betrachten.

Die Regelungen beziehen sich nicht nur auf das Beurkundungsverfahren und das materielle Gesellschaftsrecht, sondern enthalten auch weitreichende Änderungen für das Registerwesen. Beispielsweise wird der grenzüberschreitende Informationsaustausch zwischen den europäischen Handelsregistern verbessert, sodass die Anmeldung inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften erleichtert wird und erstmalig auch die Eintragung ausländischer Zweigniederlassungen inländischer Gesellschaften vorgesehen ist.

Online-Beurkundungsverfahren

Für die Unternehmenspraxis ist insbesondere die Einführung der Online-Beurkundung im GmbH-Recht interessant. Dabei wird ab dem 1. August 2022 zunächst die Möglichkeit der Online-Gründung einer GmbH geschaffen (§ 2 Abs. 3 GmbHG n.F.). Ein Jahr später, ab dem 1. August 2023, steht das Online-Verfahren auch für die Beurkundung von Satzungsänderungen durch Gesellschafterbeschluss offen (§ 53 Abs. 3 S. 2 GmbHG n.F.).

Das Verfahren der Online-Beurkundung selbst ist nicht im GmbHG, sondern in den §§ 16a ff. BeurkG n.F. sowie in §§ 78, 78p BNotO n.F. geregelt. Dadurch lässt sich das Verfahren auch leicht auf Beurkundungen außerhalb des GmbH-Rechts übertragen, sollte es sich in der Praxis bewähren. Zukünftig könnten dann auch andere Gesellschaftsformen (z.B. AGs) betreffende Beurkundungen oder nach dem Erbrecht oder für Grundstücksübertragungen erforderliche Beurkundungen online durchgeführt werden. Erforderlich ist nach § 16a BeurkG n.F., dass das Online-Verfahren für die jeweilige Beurkundung durch Gesetz ausdrücklich zugelassen wird.

Die Beurkundung erfolgt ausschließlich über das von der Bundesnotarkammer gem. § 78 Abs. 1 Nr. 10 BNotO n.F. einzurichtende und zu betreibende Videokommunikationssystem. Beurkundungen über gängige Videochat-Plattformen wie Teams, Skype oder Zoom sind dagegen nicht möglich, weil sie den Notar*innen nicht die nach § 16c BeurkG n.F. erforderliche Feststellung der Beteiligten ermöglicht.Die Feststellung hat nämlich im Rahmen der Videokommunikation durch ein elektronisch auslesbares Ausweisdokument (z.B. ein deutscher Personalausweis mit aktivierter Online-Funktion, vgl. § 18 PAuswG) zu erfolgen. Dabei sind auch elektronische Identifizierungsmittel aus EU/EWR-Staaten zulässig, sofern diese als vertrauenswürdig anerkannt sind. Gründer*innen aus Drittstaaten bleibt die Online-Gründung dagegen verschlossen. Sofern sich Notar*innen keine Gewissheit über die Person eines Beteiligten verschaffen können oder Zweifel an der erforderlichen Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten haben, sollen sie die Beurkundung im Online-Verfahren ablehnen (§ 16a Abs. 2 BeurkG n.F.).

Neben reinen Online-Beurkundungen erlaubt die Neuregelung in § 16e BeurkG auch hybride Verfahren, bei denen ein Teil der Beteiligten bei der Notarin körperlich anwesend, andere mittels Videokommunikation zugeschaltet sind. In diesem Fall ist zusätzlich zur elektronischen Niederschrift gem. § 16b BeurkG n.F. eine inhaltsgleiche „normale“ Niederschrift nach § 8 BeurkG aufzunehmen.

Online-Gründung – und ihre Tücken

Die Online-Gründung erlaubt § 2 Abs. 3 GmbHG n.F. zunächst als Bargründung; ab dem 1. August 2023 wird auch eine – in der Praxis indes kaum relevante – Sachgründung möglich sein. Dabei ist auch bei der Online-Gründung eine Vertretung durch eine notariell bevollmächtigte Person zulässig, wobei die notarielle Errichtung der Vollmacht nach § 2 Abs. 2 S. 2 GmbHG n.F. ebenfalls im Online-Beurkundungsverfahren erfolgen kann. Neben der Beurkundung der eigentlichen Satzung können gem. § 2 Abs. 3 S. 3 und 4 GmbHG n.F. auch die Beschlüsse zur Bestellung der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer online beurkundet bzw. beglaubigt werden. Diese elektronische Beglaubigung (§ 40a BeurkG n.F.) genügt nach § 12 HGB n.F. auch für die Anmeldung von Gesellschaft und Geschäftsführung beim Handelsregister. Für einfache Gründungsvorgänge schaffen die Neuregelungen daher einen digitalen One-Stop-Shop, jedenfalls wenn die Gründerinnen und Gründer über die für die Online-Gründung erforderlichen elektronisch auslesbaren Ausweisdokumente verfügen.

Anders sieht es aber aus, wenn mit der GmbH-Gründung weitere beurkundungspflichtige Geschäfte verbunden werden sollen. Zu denken sind insbesondere an Gesellschafternebenvereinbarungen bzw. Shareholder Agreements, die Call- und Put-Optionen bzw. Tag-Along- und Drag-Along-Klauseln enthalten, und daher gem. § 15 Abs. 4 GmbHG zu beurkunden sind. Für solche Geschäfte steht das Online-Verfahren nicht offen, weil sich die Möglichkeit der Mitbeurkundung in § 2 Abs. 3 S. 3 GmbHG n.F. auf Willenserklärungen beschränkt, die nicht der notariellen Form bedürfen. Gleiches gilt für die – auch bei der Online-Beurkundung grundsätzlich zulässige – Bargründung mit Sachagio, wenn die Einbringung der Sacheinlage beurkundungsbedürftig ist (z.B. bei der Übertragung von Grundstücken oder bei der Einbringung von GmbH-Anteilen). Schließlich liegen sämtliche Umwandlungsvorgänge einschließlich der Spaltung und Verschmelzung zur Neugründung außerhalb des Anwendungsbereichs der Regelung, weil die Online-Beurkundung im Umwandlungsrecht nicht ausdrücklich zugelassen ist (vgl. § 16a BeurkG n.F.).

Online-Satzungsänderung – ohne Mehrwert?

Für viele GmbHs sind Beschlussfassungen außerhalb der klassischen Präsenzveranstaltung nicht unüblich – die Satzungsdispositivität macht’s möglich. Zukünftig braucht es dafür zwar keiner ausdrücklichen Satzungsänderung mehr; Voraussetzung für virtuelle Gesellschafterversammlungen ist nach § 48 Abs. 1 S. 2 GmbHG n.F. nur noch, dass alle Gesellschafter ihr Einverständnis in Textform erklären. Insoweit wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Zulässigkeit von Online-Versammlungen umgekehrt.

Aufgrund des Zustimmungserfordernisses dürfte es sich für die meisten Gesellschaften aber auch zukünftig empfehlen, Abweichungen vom Normalfall der Präsenzversammlung durch die Satzung zu regeln. Dabei gilt, dass auch die Neuregelung in § 48 Abs. 1 S. 2 GmbHG n.F. dispositiv ist. Nicht vollständig geklärt ist allerdings, ob eine Satzungsbestimmung, mit welcher der Zustimmungsvorbehalt abbedungen wird, abweichend von § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf. Für Satzungsbestimmungen, die eine Erleichterung des Umlaufverfahrens nach § 48 Abs. 2 GmbHG vorsehen (z.B. Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluss statt Einstimmigkeit, Widerspruchsgestaltungen etc.) wird dies jedenfalls allgemein vertreten. Im Hinblick auf den identischen Gesetzeswortlaut dürften entsprechende Anforderungen auch für § 48 Abs. 1 S. 2 GmbH n.F. gelten, sodass für den satzungsändernden Beschluss jedenfalls aus Gründen der Vorsicht die Zustimmung aller Gesellschafter einzuholen sein wird.

Ab dem 1. August 2023 wird durch das DiREG dann auch die Online-Beurkundung von satzungsändernden Gesellschafterbeschlüssen möglich sein. Dies gilt gem. § 53 Abs. 3 S. 2 GmbHG n.F. allerdings nur für einstimmige Beschlüsse. Dies geht über das allgemeine Zustimmungserfordernis zu satzungsändernden Beschlüssen hinaus, welche gem. § 53 Abs. 2 GmbHG eine Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen bedürfen. Kontroverse Versammlungen, bei der sich Mehrheiten gegen Minderheiten durchsetzen müssen, haben daher weiterhin in Präsenz stattzufinden.

Digitalisierung mit der Handbremse

Insgesamt sind die mit DiRUG und DiREG geschaffenen Regelungen aus Sicht der Gesellschafterinnen und Gesellschafter zwar zu begrüßen, weil sie die Handlungsmöglichkeiten erweitern. Dies gilt im Grunde sowohl für die Online-Gründung als auch für die (satzungsändernde) Beschlussfassung in virtuellen Versammlungen. Inwieweit sie in der Unternehmenspraxis aber schon heute einen echten Mehrwert darstellen werden, darf angesichts der jeweils bestehenden Einschränkungen bezweifelt werden. Für die Online-Gründung müsste der Kreis der Geschäfte, die im Online-Verfahren beurkundet werden können, deutlich erweitert werden, insbesondere um Anteilsabtretungen nach § 15 Abs. 4 GmbHG und Grundstücksgeschäfte gem. §§ 311b Abs. 1, 925 BGB. Bei Satzungsänderungen sollte auf das Einstimmigkeitserfordernis verzichtet werden. Insoweit bleibt für den Gesetzgeber noch Luft für die nächste Digitalisierungsrunde im Gesellschaftsrecht. Wir freuen uns darauf.

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