Say on Climate

Shareholders for Future: Darf die Hauptversammlung in Klimafragen mitreden?
Dr. Bastian Brunk
Mittwoch, der 27. Juli 2022

In der anglo-amerikanischen Corporate Governance ist es schon länger ein Thema, nun werden auch hierzulande Forderungen nach einem „Say on Climate“ laut. Hintergrund ist eine gleichnamige Initiative (https://www.sayonclimate.org/), die sich für ein solches Mitspracherecht der Hauptversammlung in unternehmensbezogenen Klimafragen einsetzt. Die Umsetzung soll nach der Vorstellung der Initiative in drei Akten erfolgen:

  1. Die jährliche Veröffentlichung der Treibhausgasemissionen durch das Unternehmen.
  2. Die Entwicklung eines Emissionsreduktionsplans durch die Geschäftsleitung.
  3. Die Abstimmung der Hauptversammlung über den ihr vorgelegten Reduktionsplan und die jährlichen Fortschrittsberichte.

Getrieben wird die Initiative vor allem von institutionellen Investoren, die den Klimawandel nicht nur als Klima-, sondern auch als Unternehmensrisiko einschätzen, das einer nachhaltigen und langfristigen Wertentwicklung ihres Portfolios entgegensteht. Darüber hinaus benötigen die Investoren Unternehmensdaten zu den Emissionen ihrer Beteiligungsunternehmen, um ihrerseits den Publizitätsanforderungen der Taxonomie-VO und Offenlegungs-VO entsprechen zu können. Klimabezogene Berichtspflichten bestehen gegenwärtig außerdem im Rahmen der nichtfinanziellen Erklärung im (Konzern-)Lagebericht nach §§ 289b ff., 315b ff. HGB. Schließlich greift die Initiative der weiteren europäischen Rechtsentwicklung durch CSR-Richtlinie und CSDD-Richtlinie voraus, durch welche Unternehmen zukünftig verpflichtet werden, einen Emissionsreduktionsplan mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu entwickeln und offenzulegen.

Eine Beteiligung der Hauptversammlung ist allerdings in den europäischen Regulierungsansätzen bisher nicht vorgesehen, sondern ist eine eigenständige Forderung der „Say on Climate“-Bewegung. Dadurch soll eine bessere Eigentümerkontrolle gewährleistet, die Legitimität der Emissionsreduktion gesteigert und insgesamt eine langfristige und nachhaltige Wertentwicklung des Unternehmens sichergestellt werden. Zudem ermöglicht das Mitspracherecht auch passiven Investoren (z.B. ETF-Fonds auf Aktienindizes), denen aufgrund ihrer Struktur und Anlagestrategie ein „Say“ durch Divestment (d.h. ein „Abstimmen mit den Füßen“) verschlossen ist, in den Beteiligungsunternehmen auf eine gute Corporate Governance im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken hinzuwirken. Dabei ist davon auszugehen, dass das Mitspracherecht der Aktionäre tatsächlich sinnvoll ist, weil es Greenwashing vorbeugen kann. Der Anreiz für den Vorstand, einen wirksamen Reduktionsplan zu entwickeln, steigt nämlich, wenn er andernfalls eine reputationsschädigende Ablehnung des Plans durch die Hauptversammlung befürchten müsste. Diese Anreize dürften für den Vorstand auch in persönlicher Hinsicht wirken, weil ein negatives Votum ein deutliches Misstrauenssignal senden würde, in dessen Folge der Vorstand jedenfalls angezählt wäre.

Dürfen die das?

Dass das Ansinnen der Initiative sinnvoll erscheint, bedeutet nicht, dass es rechtlich auch zulässig ist. Bereits ein flüchtiger Blick in § 119 Abs. 1 AktG zeigt, dass der Klimaschutz nicht zu den dort genannten Abstimmungsgegenständen auf der Hauptversammlung zählt. Es fehlt auch eine spezielle Kompetenzzuweisung, wie sie z.B. in § 120a AktG für die Beschlussfassung über das Vergütungssystem („Say on Pay“) vorgesehen ist. Die Zulässigkeitsfrage ist daher auf Grundlage der allgemeinen Kompetenzverteilung zu beantworten. Dabei gilt wegen des Prinzips der Satzungsstrenge in § 23 Abs. 5 AktG, dass die Vorgaben des AktG verbindlich sind und grundsätzlich nicht zur Disposition der Beteiligten – Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionäre – stehen.

Die Hauptversammlung darf nicht.

Bei der Festlegung des Emissionsreduktionsplans handelt es sich um eine Geschäftsführungsmaßnahme, die gem. § 76 Abs. 1 AktG in die Zuständigkeit des Vorstands fällt. Die Rechte der Hauptversammlung beschränken sich in Geschäftsführungsfragen grundsätzlich auf das individuelle Rede- und Fragerecht der Aktionäre aus §§ 118, 131 AktG. Ein echtes Mitspracherecht – verstanden als Recht zur Abstimmung – besteht dagegen nicht. Mangels Beschlusskompetenz können die Aktionäre auch nicht gem. § 122 Abs. 2 AktG verlangen, dass die Abstimmung über den Reduktionsplan auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um eine verbindliche Beschlussfassung oder eine unverbindliche Meinungskundgabe handeln soll; selbst eine beschlusslose Befassung mit Geschäftsführungsangelegenheiten kann über § 122 Abs. 2 AktG nach verbreiteter Auffassung nicht verlangt werden. Insoweit scheidet eine aktionärsseitige Durchsetzung des „Say on Climate“ aus.

Der Vorstand darf – grundsätzlich.

Daraus folgt aber nicht, dass das „Say on Climate“ per se unzulässig wäre. Die Hauptversammlung hat zwar kein Antragsrecht; der Vorstand ist aber berechtigt, die Hauptversammlung in Geschäftsführungsfragen zu konsultieren. Das folgt teilweise bereits aus § 119 Abs. 2 AktG, wonach der Vorstand der Hauptversammlung Geschäftsführungsfragen zur Beschlussfassung vorlegen darf. Zwar bezieht sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach („entscheiden“) nur auf rechtsverbindliche Beschlüsse. Nach verbreiteter – wenn auch nicht unbestrittener – Auffassung ist es dem Vorstand aber auch gestattet, bloße Konsultationsbeschlüsse einzuholen, die das Vorstandshandeln nicht rechtsverbindlich determinieren; immerhin darf der Vorstand auch beschlusslose Gegenstände auf die Tagesordnung setzen. Auf diese Weise wäre zumindest der Vorstand berechtigt, die „Say on Pay“-Initiative in der Hauptversammlungspraxis umzusetzen.

Erwägt der Vorstand dem Ansinnen der Initiative zu folgen, hat er diese Entscheidung auf der Grundlage einer am Gesellschaftswohl orientierten Abwägung zu treffen. Dabei dürfte einer Beteiligung der Hauptversammlung im Regelfall nichts entgegenstehen, weil mit der Beschlussfassung zumeist eine höhere Legitimität des Emissionsreduktionsplans einhergehen und die Reputation der Gesellschaft aus Anlegersicht steigen dürfte. Dies hängt freilich von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb die Abwägung auch anders ausfallen kann, z.B. wenn der Vorstand mit einer Ablehnung des Plans durch die Hauptversammlung rechnen muss. In der Umsetzung dürfte sich zumeist die Einholung eines unverbindlichen Konsultations- bzw. Meinungsbeschlusses anbieten, weil dies dem Vorstand größere Flexibilität einräumt, im Bedarfsfall vom vorgelegten Plan abzuweichen (z.B. bei unvorhergesehenen Umständen). Auch aus Sicht der Hauptversammlung empfiehlt sich eine Abstimmung mit Empfehlungscharakter, weil es kaum dem Interesse der Aktionäre entsprechen wird, dem Vorstand bei der Emissionsreduktion durch verbindlichen Beschluss einen Haftungsfreiraum gem. § 93 Abs. 4 S. 1 AktG zu gewähren.

„Say on Human Rights“?

Hält man ein „Say on Climate“ für sinnvoll, ließe sich auch erwägen, der Hauptversammlung auch in Bezug auf andere ESG-Themen ein Mitspracherecht zu gewähren. Die Entscheidung darüber ist wiederum auf einer am Gesellschaftswohl orientierten Abwägung im Einzelfall zu treffen. Die Wertungen, die bei der Abwägung für ein „Say on Climate“ sprechen, dürften auch für andere Belange gelten. Insbesondere ließe sich über ein „Say on Human Rights“ nachdenken. Dabei dürfte eine Abstimmung über Einzelmaßnahmen, z.B. die konkreten Präventions- und Abhilfemaßnahmen im Sinne der §§ 6, 7 LkSG, die Hauptversammlung zwar regelmäßig überfordern. Möglich erscheint aber eine Befassung in der Weise, dass der Vorstand die Hauptversammlung über die mit der Geschäftstätigkeit verbundenen Menschenrechtsrisiken informiert – insoweit greift ohnehin die Berichtspflicht aus § 289c Abs. 2 Nr. 4 HGB – und sie bei der Entscheidung über die allgemeine Unternehmensstrategie im Umgang mit diesen Risiken beteiligt.

„Say on Climate“ als Auftrag an den Gesetzgeber?

Damit stehen den Gesellschaftsorganen bereits heute Wege offen, die „Say on Climate“-Initiative umzusetzen. Das Beschreiten dieser Wege ist für den Vorstand aber nicht ohne Risiko, weil die geltende Rechtslage eine Befassung der Hauptversammlung mit Geschäftsführungsfragen – wie gesehen – eigentlich nicht vorsieht. Wohl auch aus diesem Grund hat der Vorschlag der Wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR), das „Say on Climate“ als Anregung im Kodex aufzunehmen, im Zuge der jüngsten Kodexreform keine Berücksichtigung gefunden (vgl. hierzu auch unseren Blogbeitrag). Sollte sich das „Say on Climate“ in der Praxis als nützliches Instrument erweisen, könnte die Kodexkommission den Gedanken bei der nächsten Reform wieder aufnehmen. Vorzugswürdig wäre es aber, das „Say on Climate“ – analog dem „Say on Pay“ in § 120a AktG – im AktG zu verankern, um verbleibende Unklarheiten über die kompetenzrechtliche Zulässigkeit zu beseitigen. Dadurch würde der Gesetzgeber zugleich den in den Unternehmen zur Erreichung von Klimaneutralität erforderlichen Transformationsprozess erleichtern.

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