Email-Ausdrucker setzen sich bei Gerichten durch

Digitalisierung setzt technische Kompetenz und den Einsatz oft erheblicher finanzieller Mittel voraus. Vor allem aber braucht sie ein Mindset aller Beteiligten, das offen ist für Veränderung und Wandel. Die wesentlichen Player des deutschen Rechtssystems tun sich schwer auf jeder dieser Ebenen. „Email-Ausdrucker“ geben dort häufig noch den Ton an.
Dr. Matthias Birkholz
Donnerstag, der 17. Oktober 2019

Tradition schlägt Digitalisierung

Zwar gibt es mittlerweile zaghafte Versuche der Digitalisierung auch bei Gerichten und Anwälten. So soll das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ für eine papierlose Kommunikation zwischen Anwälten und Gerichten sorgen. Das ist jedoch nicht nur „besonders“ schwerfällig und benutzerunfreundlich. Es sorgt auch bislang kaum für eine Abschaffung von Papier. Vielmehr werden – so hört man – bei den Gerichten die elektronisch zugegangenen Schriftstücke ausgedruckt und in die althergebrachte Papierakte geheftet. Noch dazu wird elektronische Signatur von Schriftsätzen von dem System mit zahlreichen unterschiedlichen Protokolldateien übermittelt, die ebenfalls alle ausgedruckt und abgeheftet werden. Das hatte man anfänglich noch für eine Übergangslösung halten dürfen – bis zu einem Zeitpunkt, an dem endlich alles digital sein würde. Leider liegt das Problem offenbar tiefer.

Mangelndes Mindset

Die deutsche Zivilgerichtsbarkeit scheitert im Hinblick auf Digitalisierung nicht nur an mangelnder technischer Infrastruktur, sondern vor allem an der erforderlichen Geisteshaltung. Das wird deutlich an der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der Führung eines elektronischen Fristenkalenders durch Anwälte. Zwar darf man als Anwalt seine Fristen auch elektronisch führen. Man darf sich aus Sicht des BGH aber nicht ausschließlich auf Software und Bildschirm verlassen. Vielmehr muss der Anwalt das Ganze ausdrucken und anhand des Ausdrucks kontrollieren. Die bloß Bildschirm- und softwaregestützte Eingabe sei sämtlich besonders fehlerträchtig und anfällig für „Augenblicksversagen“. Nur der Medienbruch zwischen Bildschirmeingabe und Ausdruck gewähre das erforderliche Maß an Sicherheit.

Negative customer experience vor Gericht

Der Verfahrensablauf vor Zivilgerichten in Deutschland droht auf diese Weise aus der Zeit zu fallen. Nicht wegen eines Ambientes, das oftmals entweder an das 19. Jahrhundert oder die 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erinnert. Sondern wegen einer mit dem Versuch, sein Recht vor einem Zivilgericht durchzusetzen, häufig negativen customer experience – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

Sein Recht vor einem deutschen Gericht durchzusetzen zu versuchen ist kostspielig, dauert lange und spielt sich in einem Verfahren ab, das oftmals nicht verständlich ist. All das ist mit den Erwartungen der Menschen in einer One-Click-Economy nicht länger kompatibel. Transaktionen im Internet sind schnell, einfach und mit geringen Transaktionskosten verbunden. Recht bekommen in Deutschland ist das Gegenteil.

Von Online Justice ist Deutschland weit entfernt

Während andere Länder sich dem Thema „Online Justice“ mit Macht widmen, klammert man sich in Deutschland verzweifelt an alte Traditionen. Allen Ernstes wurde so ein Antrag auf der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer, die berufsrechtlich verankerte Robentragungspflicht für Anwälte vor Zivilgerichten abzuschaffen, mit 2 zu 70 Stimmen abgelehnt.

Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass die Fallzahlen vor deutschen Zivilgerichten seit über 10 Jahren sinken. Das ist nämlich kaum ein Zeichen dafür, dass die Leute weniger streiten. Vielmehr steht zu befürchten, dass das Vertrauen und die Zufriedenheit der Bürger mit der deutschen Zivilgerichtsbarkeit kontinuierlich gesunken ist und weiter sinken wird. Statt dass Sendeprotokolle ausgedruckt, über die Gefahren vom Ausrutschen auf der Keyboard-Taste philosophiert und Kostümzwang postuliert wird, müssen die deutschen Zivilgerichte endlich in der digitalen Welt ankommen.

Dieser Blogbeitrag ist in leicht veränderter Fassung auch als Kolumne des Autors im Venture Capital Magazin erschienen.

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