Fernmeldegeheimnis goes digital
Neue Regulierung von Over-the-Top-Diensten
Digitale Kommunikations-Dienste wie GMail, WhatsApp und Zoom lassen sich aus unserem Leben kaum mehr wegdenken und haben „klassische“ Telekommunikationsmittel wie Telefon und SMS weitgehend ersetzt. Rechtlich flogen diese Dienste allerdings lange weitgehend unter dem Radar der telekommunikationsrechtlichen Regulierung. Regulatorische Vorgaben wie die Pflicht zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses, das den vertraulichen Austausch von Nachrichten sicherstellen soll, galten lange Zeit nur für die „klassischen“ Dienste, nicht aber für die meisten Anbieter digitaler Kommunikationslösungen.
Diese Lücke hat der Gesetzgeber nun geschlossen. Der Bundestag hat am 22. April 2021 das Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (kurz: TTDSG) verabschiedet. Das TTDSG enthält u.a. weitergehende Verpflichtungen aufgrund des Fernmeldegeheimnisses und zum Umgang mit Verkehrsdaten. Es tritt am 1. Dezember 2021 in Kraft.
Nicht nur wegen der (auch strafrechtlichen) Sanktionsmöglichkeiten bei einer Verletzung des Fernmeldegeheimnisses sollten Unternehmen, die Messenger oder andere Tools zur digitalen Kommunikation anbieten oder nutzen, nun genau überprüfen, welche Änderungen sich hieraus für sie ergeben.
Was ist OTT? – Over-the-Top-Dienste in a nutshell
Wesentliche Neuerungen bringt das TTDSG für Over-the-Top-Kommunikationsdienste. Diese lassen sich in OTT-1 und OTT-0 Dienste unterteilen. OTT-1 Dienste zeichnen sich dadurch aus, dass sie ausschließlich über das offene Internet (also „over the top“) erbracht werden, ohne dass ein traditioneller Internet-Service-Provider involviert ist oder Nutzer an einen bestimmten Mobilfunkanschluss gebunden ist. Hierunter können eine Vielzahl bekannter digitaler Webmail-, Instant-Messaging-, Konferenz- oder Internettelefonie Dienste und Apps fallen, wie z.B. Gmail, GMX, WhatsApp, Telegram, Threema, Signal, Instagram Messenger, Facebook Messenger, Skype, Zoom oder Microsoft Teams. Einen Sonderfall der OTT-1 Dienste bilden die OTT-0 Dienste, da hier zusätzlich auch ein Zugang zum öffentlichen Telefonnetzwerk (PSTN) besteht. Ein Beispiel hierfür ist der internetbasierte Dienst Skype-Out, durch den Anrufer auf Festnetz oder Mobilfunk anrufen können.
Welche OTT erfasst die neue Regulierung im TTDSG?
Das TTDSG knüpft in seinem Anwendungsbereich an den Begriff des Telekommunikationsdienstes des TKG an (§ 2 Abs. 1 TTDSG). Dieser wurde kürzlich erheblich erweitert.
Das alte TKG definierte Telekommunikationsdienste als „in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen“ (§ 3 Nr. 24 TKG aF). Diese Definition erfasste nur solche Telekommunikationsdienste, bei denen Sprachsignale über elektronische Kommunikationsnetze auch über ein klassisches Telefonnetz übertragen werden können (wie auch Art. 2 lit. c Rahmenrichtlinie). Dementsprechend waren davon schon OTT-0 Dienste erfasst, wie der EuGH im Skype-Out Urteil klarstellte. Demgegenüber urteilte der EuGH zu GMail, dass es sich bei OTT-1 nicht um einen elektronischen Kommunikationsdienst handele.
Das novellierte TKG verwendet ab Dezember einen erweiterten Telekommunikationsdienstbegriff (vgl. § 3 Nr. 61 TKG nF). Damit wurde das nationale Recht an den neuen europäischen Begriff des elektronischen Kommunikationsdienstes angepasst. Diesen hatte der europäische Gesetzgeber mit der Kodex-RL im Jahr 2019 auf sog. interpersonelle Kommunikationsdienste erweitert. Gemeint ist damit ein gewöhnlich gegen Entgelt erbrachter Dienst, der einen direkten interpersonellen und interaktiven Informationsaustausch ermöglicht. Dabei unterteilt das TKG interpersonelle Kommunikationsdienste in nummernunabhängige und nummerngebundene Kommunikationsdienste, was der Unterscheidung zwischen OTT-1 und OTT-0 Diensten entspricht. Da nummernabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste auch nach der alten Rechtslage schon erfasst wurden, ändern die Kodex-Richtlinie und die TKG-Novelle in Zusammenschau mit dem TTDSG vor allem die Rechtslage für OTT-1 Dienste.
Der Begriff des Kommunikationsdienstes ist nach der Neuregelung tendenziell weit zu verstehen. Nur solche Dienste sind ausdrücklich ausgenommen, die Telekommunikation lediglich als untrennbar mit einem anderen Dienst verbundene untergeordnete Nebenfunktion ermöglichen (vgl. § 3 Nr. 24 TKG nF). Diese eng auszulegende Ausnahme soll etwa in Betracht kommen, wenn ein Kommunikations-Feature als Nebenfunktion unbedeutend ist, da es nur einen sehr begrenzten objektiven Nutzen für den Nutzer aufweist und in der Realität kaum verwendet wird – wie ggf. ein Game Chat (vgl. ErwG 17 Kodex-RL).
Die „schlechte“ Nachricht: Die meisten digitalen Kommunikationsdienste unterfallen dem TTDSG
Der Anwendungsbereich des TTDSG ist entsprechend weit und erstreckt sich auf die meisten Anbieter von digitalen Kommunikationsdiensten. Welche Anbieter an das TTDSG gebunden sind, ergibt sich im Wesentlichen aus § 3 Abs. 2 TTDSG, auf den in vielen weiteren Vorschriften des TTDSG Bezug genommen wird.
Das sind:
- Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten sowie natürliche und juristische Personen, die an der Erbringung solcher Dienste mitwirken,
- Anbieter von ganz oder teilweise geschäftsmäßig angebotenen Telekommunikationsdiensten sowie natürliche und juristische Personen, die an der Erbringung solcher Dienste mitwirken
Öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste
Was öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste sind, definiert § 3 Nr. 44 TKG nF, nämlich „einem unbestimmten Personenkreis zur Verfügung stehende Telekommunikationsdienste“. Welche Dienste hiervon erfasst sind, hängt von der Ausgestaltung und Anwendung des jeweiligen Telekommunikationsdienstes ab. Entscheidend ist, ob dem jeweiligen Dienst von den Nutzern ein schutzwürdiges Vertrauen entgegengebracht wird, welches das Fernmeldegeheimnis schützen soll. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn der Nutzerkreis anhand abstrakt definierter Kriterien sachlich beschränkt ist. Maßgeblich ist die Würdigung im Einzelfall.
So dürften etwa solche Dienste nicht hierunter fallen, die nur durch Arbeitnehmer eines Unternehmens genutzt werden können und mit denen keine Kommunikation „nach außen“ möglich ist. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Altersgruppe wäre hingegen – selbst, wenn technisch umsetzbar – nicht ausreichend.
Geschäftsmäßig angebotene Telekommunikationsdienste
Der Anwendungsbereich des TTDSG erfasst darüber hinaus allerdings auch sämtliche geschäftsmäßig angebotenen Telekommunikationsdienste, auch wenn diese nicht öffentlich zugänglich sind. § 3 Nr. 10 TKG aF definiert das geschäftsmäßige Erbringen als das „nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“, sodass es vor allem auf eine Regelmäßigkeit ankommt.
Mitwirkende
Das TTDSG definiert den Begriff des Mitwirkenden nicht. Auch die ePrivacy-RL kennt diesen Begriff nicht. In § 3 Nr. 6 lit b TKG aF wird dieser Begriff allerdings ebenfalls verwendet. In der Gesetzesbegründung zu § 164 TKG nF werden als Mitwirkende Mitarbeiter und Erfüllungsgehilfen, dh. vor allem Arbeitnehmer und Subunternehmer des jeweiligen Kommunikationsdienstes, bezeichnet.
Vorsicht für Arbeitgeber bei Nutzung unternehmensinterner Chats etc.
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Telekommunikationsdienste zur Verfügung stellen. Dabei wird von den Datenschutzbehörden überwiegend angenommen, dass sie zu geschäftsmäßigen Anbietern von Telekommunikationsdiensten werden können, wenn sie die Nutzung für private Kommunikation erlauben. Folge ist, dass ggf. auch Arbeitgeber das TTDSG und insbesondere das Fernmeldegeheimnis beachten müssen. Da ohne Kenntnis des Kommunikationsinhalts aber nicht zu beurteilen ist, ob es sich um private oder berufliche Kommunikation handelt, gilt das Fernmeldegeheimnis dann ggf. grundsätzlich bezüglich sämtlicher Kommunikation.
Die gute Nachricht: Eine Prüfung der Anwendbarkeit lohnt!
Auch wenn das TTDSG nicht ausdrücklich bestimmte Vorschriften auf OTT-Dienste für unanwendbar erklärt, so ergibt sich jedenfalls aus dem Regelungszweck, dass die Anwendung einiger Vorschriften auf OTT-Dienste nur schwer vorstellbar ist. Das gilt zum einen, soweit das TTDSG wie in §§ 5 und 8 Vorgaben für die Nutzung von bestimmten Anlagen macht. Auch Regelungen zur Datenverarbeitung zur Entgeltabrechnung oder soweit sie an Nummern anknüpfen, wie z. B. §§ 9-11 TTDSG, dürften für OTT-1 Dienste oft nicht anwendbar sein.
Insbesondere folgende Regelungen sollten allerdings beachtet werden:
Bindung an das Fernmeldegeheimnis
Die wohl wesentlichste Neuerung für OTT-1 Dienste bringen §§ 3 Abs. 2, 4 TTDSG mit sich, wonach die meisten OTT-1 Dienste nunmehr an das Fernmeldegeheimnis gebunden sind. Letzteres gewährleistet einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen und vertraulichen Austausch von Informationen – und zwar gerade dann, wenn die Nutzer wegen ihrer räumlichen Distanz auf eine Übermittlung durch andere angewiesen sind. Das bedeutet, dass die digitalen Kommunikationsdienste vom Inhalt der Kommunikation keine Kenntnis nehmen dürfen, wobei auch Informationen über die näheren Umstände der Kommunikation vom Geheimnis erfasst sind. Auch Einwilligungen in eine Kenntnisnahme sind nicht ohne weiteres möglich.
Schutzmaßnahmen bei Zwischenspeicherungen
6 TTDSG regelt die Zwischenspeicherung durch den Anbieter des Telekommunikationsdienstes und verpflichtet diesen insbesondere, Schutzmaßnahmen gegen unbefugte Zugriffe zu treffen. Während diese Vorschrift kaum eine Rolle in der Welt des Schnurtelefons gespielt hat, könnte sie für OTT-1-Dienste, bei denen standardmäßig eine Zwischenspeicherung erfolgt, erheblich an Bedeutung gewinnen. Dabei wird noch zu klären sein, ob auch die Nachrichtenvorhaltung im Anschluss an die Übermittlung an den Empfänger unter diese Vorschrift fällt.
Sanktionsmöglichkeiten
Durch den erweiterten Begriff des Telekommunikationsdienstes können nunmehr auch OTT-1 Dienste dem Straftatbestand der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses unterfallen, der eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren androht (§ 206 StGB). Daneben drohen Bußgelder bei Verstößen (§ 28 TTDSG).
…und dann auch noch das TKG
Auch eine Überprüfung der Anwendbarkeit des TKG lohnt. Vielfach sind OTT-1 Dienste, obwohl sie nun Telekommunikationsdienste im Sinne des TKG sind, aus dem Anwendungsbereich der einzelnen Vorschriften ausgeschlossen. So besteht beispielsweise bei nummernunabhängigen interpersonellen Telekommunikationsdiensten keine behördliche Meldepflicht (§ 5 Abs. 1 TKG nF).
Welcome to the Jungle – Die Anwendbarkeit des TTDSG im Anwendungsbereich der DSGVO
Viele der im TTDSG geregelten Vorgänge betreffen die Verarbeitung personenbezogener Daten und fallen damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der DSGVO, sodass sich die Frage des Verhältnisses der beiden Regelungswerke stellt.
Ausgangspunkt ist Art. 95 DSGVO. Danach sind in Bezug auf die Verarbeitung in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste allein die Pflichten aus der Richtlinie 2002/58/EG (ePrivacy-RL) zu beachten. Allerdings nur, wenn diese Vorschriften dasselbe Ziel wie die Vorschriften der DSGVO verfolgen. Andernfalls ist die DSGVO maßgeblich.
Das TTDSG soll die ePrivacy-RL umsetzen. Soweit die Regelungen des TTDSG deshalb mit den Regelungen der ePrivacy-RL deckungsgleich sind, tritt die DSGVO grundsätzlich zurück, was auch Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit bezüglich der Datenverarbeitung haben kann.
Allerdings geht das TTDSG, wie auch schon das TKG, in seinem Anwendungsbereich über den Anwendungsbereich der ePrivacy-RL hinaus. Damit sind Konstellationen denkbar, in denen ein Telekommunikationsdienst zwar vom Anwendungsbereich des TTDSG erfasst ist, nicht aber von dem der ePrivacy-RL, sodass gem. Art. 95 DSGVO weiterhin die DSGVO voll anwendbar bleibt. In diesem Fall würden die Vorschriften des TKG durch die DSGVO ggf. verdrängt. Das ist beispielsweise bei nicht öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten der Fall. Die Konkurrenzproblematik stellt sich allerdings nur, soweit der Anwendungsbereich der DSGVO überhaupt eröffnet ist, es sich bei den Daten also um personenbezogene Daten handelt. Das TTDSG schützt demgegenüber auch unternehmensbezogene Daten (§ 1 Abs. 2 TTDSG).
Es muss vor diesem Hintergrund deshalb für einzelne Datenverarbeitungen jeweils gesondert geprüft werden, inwiefern das TTDSG und/oder die DSGVO anwendbar sind.
Fazit: Wichtige Aktualisierung und viele offenen Fragen
Die Einführung des TTDSG und die Änderung des TKG haben die Rechtslage an die Lebenswirklichkeit angepasst. Jedenfalls aus Nutzersicht ist es erfreulich, dass die Rechtsentwicklung nicht beim analogen Telefon stehen geblieben ist und nunmehr auch der Inhalt von digitalen Messengern & Co. dem Fernmeldegeheimnis unterliegen wird.
Die Regulierung von OTT-1 Diensten stand dabei aber wohl nicht im Mittelpunkt der neuen Gesetzgebung: Einige Regelungen des TTDSG sind ersichtlich nicht auf OTT-1 Dienste zugeschnitten, sondern legen den alten Telekommunikationsdienstbegriff zugrunde. Besondere Schwierigkeiten bestehen auch durch eine mögliche Verdrängungswirkung der DSGVO im Verhältnis zum TTDSG aufgrund der überschießenden Umsetzung der ePrivacy-RL.
Vor allem aber unterfallen mehr Dienste dem TTDSG, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Es empfiehlt sich daher für Unternehmen, die OTT-1 Dienste wie Messenger vertreiben oder betrieblich nutzen, genau zu prüfen, ob und welcher Handlungsbedarf sich durch das TTDSG für sie ergibt.