Das Damoklesschwert der Ausgangssperre
Update (Stand: 23. März 2020): Im Anschluss an die gestrige Konferenz von Bund und Ländern sind in (fast) allen Bundesländern die Maßnahmen zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des SARS-CoV-2 (Coronavirus) noch einmal verschärft worden. So sind in den meisten Bundesländern sog. „Kontaktbeschränkungen” erlassen worden, die darauf gerichtet sind, dass die Bürger soziale Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Ungeachtet ihrer Bezeichnung als Kontaktbeschränkung sind die getroffenen Maßnahmen in einigen Bundesländern, etwa in Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt sehr weitgehend und der Sache nach durchaus mit den Regelungen zu sog. Ausgangssperren vergleichbar (vgl. beispielsweise die Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin vom 22. März 2020).
Was genau ist eine Ausgangssperre?
Der Begriff „Ausgangssperre“ ist gesetzlich nicht definiert. Unter Zugrundelegung allgemeiner Erwägungen ist unter Ausgangssperre zunächst einmal das Verbot des Verlassens der eigenen häuslichen Unterkunft zu verstehen. Damit einher geht das Verbot des Betretens von öffentlichen Straßen, Plätzen oder Parks.
Zweck einer Ausgangssperre ist die Eindämmung bis hin zur Verhinderung sozialer Kontakte, um die Ansteckungsketten mit dem Corona-Virus zu unterbrechen. Wie dieser Zweck letztlich erreicht wird, richtet sich nach der inhaltlichen Ausgestaltung der jeweiligen Ausgangssperre im Einzelfall.
Weshalb droht nunmehr ein flächendeckender Erlass von Ausgangssperren?
Zwar gibt es inzwischen in jedem Bundesland Verordnungen sowie Allgemeinverfügungen, die zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus auf eine weitgehende Beschränkung des öffentlichen Lebens gerichtet sind. So sind z.B. größere Menschenansammlungen und Veranstaltungen mit größerer Teilnehmerzahl grundsätzlich verboten. Der Betrieb von Schulen, Universitäten und Kulturstätten (etwa Theater, Museen, Kinos) ist vorläufig eingestellt. Restaurants und Cafés dürfen nur unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen und nur in einem vorgegebenen Zeitfenster öffnen.
Angesichts der täglich steigenden Zahl der mit dem Corona-Virus infizierten Personen in Deutschland sowie der weiterhin mit zahlreichen Menschen gefüllten öffentlichen Straßen, Parks und Cafés wird es jedoch immer wahrscheinlicher, dass noch weitergehende Maßnahmen getroffen werden. Aus dem Kanzleramt heißt es derweil, es werde das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende (Stand: 20. März 2020) abgewartet, bevor der Erlass von flächendecken Ausgangssperren auf Landesebene erwogen werde.
Wie wird eine Ausgangssperre geregelt?
Die drastische Maßnahme der Ausgangssperre wurde diese Woche als erstes vom Landratsamt Tirschenreuth (betreffend die Stadt Mitterteich) ergriffen. Es folgten die Stadt Freiburg und (flächendeckend) der Freistaat Bayern (wobei hier von einer „Ausgangsbeschränkung“ die Rede ist).
Nicht einheitlich beurteilt wird, ob es überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Verhängung von Ausgangssperren gibt. Dafür kommen insbesondere Regelungen des Infektionsschutzgesetzes („IfSG“) in Betracht. Die bisher erlassenen Ausgangssperren wurden als Allgemeinverfügung auf § 28 Abs. 1 (S. 1 und / oder S. 2) IfSG gestützt. Diese Regelung ermöglicht nicht nur Maßnahmen gegenüber Kranken oder Ansteckungsverdächtigen, sondern auch Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit.
Nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG ist es einerseits möglich, Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von einer größeren Anzahl von Menschen zu beschränken. Andererseits können Personen verpflichtet werden, einen Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen. Insbesondere die zweite Variante könnte auch Ausgangssperren ermöglichen. Allerdings dürfte sich aus der weiteren Formulierung der Vorschrift ergeben, dass nur örtlich und zeitlich begrenzte Maßnahmen umfasst sein sollen. So ist die Verpflichtung, den Aufenthaltsort nicht zu verlassen, nur möglich, bis notwendige Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.
Zudem ermöglicht es die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG „notwendige Schutzmaßnahmen“ zu treffen, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhindern. Demnach könnte die Ausgangssperre als notwendige Schutzmaßnahme verhängt werden. Problematisch erscheint der Rückgriff auf eine Generalklausel hier jedoch im Hinblick darauf, dass eine Ausgangssperre zu erheblichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit führt und damit einen intensiven Grundrechtseingriff darstellt. Somit bietet der Wortlaut des geltenden Infektionsschutzgesetzes Anknüpfungspunkte für die Regelung von Ausgangssperren. Die Rechtsgrundlage erscheint jedoch nicht eindeutig.
Die bisher erlassenen Ausgangssperren (bzw. die Ausgangsbeschränkung in Bayern) wurden unterschiedlich ausgestaltet. Der Zweck, die weitere Verbreitung des Corona-Virus zu verhindern, wird dabei mit folgenden Vorgaben verfolgt:
- Untersagung, häusliche Unterkunft zu verlassen (Mitterteich)
- Verbot des Betretens bestimmter Orte (Freiburg)
- Reduzierung physischer und sozialer Kontakte zu anderen Menschen auf ein absolut nötiges Minimum sowie Verlassen der eigenen Wohnung nur bei triftigem Grund (Bayern)
Die Vorgaben gelten dabei nicht absolut. Vielmehr wird die Reichweite der Ausgangssperre maßgeblich durch die Ausgestaltung von Ausnahmen bestimmt. In den Regelungen in Freiburg und Bayern sind jeweils Ausnahmen u.a. dafür vorgesehen, dass man:
- zur Arbeit geht bzw. fährt,
- Einkaufen, zum Arzt, zur Bank oder zur Post geht,
- unterstützungsbedürftigen Personen hilft,
- sich alleine an der frischen Luft bewegt (beispielsweise um Sport zu treiben oder Haustiere auszuführen).
Wie wird die Ausgangssperre durchgesetzt?
Auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte Ausgangssperren sind sofort vollziehbar (vgl. § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG). Das heißt, dass die Vorgaben ab ihrem Inkrafttreten von der Polizei durchgesetzt werden können, notfalls auch im Wege unmittelbaren Zwangs.
Verstöße gegen die Ausgangssperre können mit Bußgeldern von bis zu 25.000 Euro geahndet werden (vgl. § 73 Abs. 1 a Nr. 6 i.V.m. Abs. 2 IfSG). Stützt sich die Regelung auf § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG, so ist für Verstöße sogar eine Strafbarkeit gem. § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG mit der möglichen Folge einer Freiheits- oder Geldstrafe vorgesehen (vgl. auf § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG ausdrücklich bezugnehmend die Verfügung betreffend die Stadt Mitterteich). Damit besteht die Gefahr, dass die Folgen eines Verstoßes – je nach Wahl der Rechtsgrundlage für die Ausgangssperre – unterschiedlich gehandhabt werden.
Wie lange gelten Ausgangssperren?
Die bisher erlassenen Ausgangssperren gelten zunächst für zwei Wochen. Eine Verlängerung scheint je nach Entwicklung der Ausbreitung des Corona-Virus nicht ausgeschlossen. Sofern die Ausgangssperre als „notwendige Schutzmaßnahme“ auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt wird, dürfte eine Verlängerung möglich sein, soweit und solange dies erforderlich ist, um die weitere Verbreitung des Corona-Virus zu verhindern.
Was würde eine Ausgangssperre für Unternehmen und Betriebe bedeuten?
Die Auswirkungen von möglichen Ausgangssperren für Unternehmen und Betriebe hängen von der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung der jeweiligen Ausgangssperre ab. Entscheidende Bedeutung wird der Frage zukommen, welche Ausnahmegründe für das Verlassen der eigenen Wohnung und das Betreten öffentlicher Straßen und Plätze katalogartig festgelegt werden. Wie die bisherigen Beispiele aus Bayern und Baden-Württemberg zeigen, dürfte der Hin- und Rückweg zur jeweiligen Arbeitsstätte einen Ausnahmegrund darstellen.
Die Ausgangssperre betreffend die Stadt Mitterteich verlangt insoweit, dass der betroffene Arbeitnehmer den Ausnahmegrund im Fall einer möglichen Vor-Ort-Kontrolle mittels einer entsprechenden Bescheinigung seines Arbeitgebers nachweisen kann. Auch ohne eine solche ausdrückliche Regelung erscheint es im Fall des Erlasses einer etwaigen Ausgangssperre jedoch sinnvoll, Arbeitnehmern entsprechende Bescheinigungen zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass bei Unternehmen und Betrieben, die auf einen persönlichen Kontakt mit ihren Kunden angewiesen sind, etwaige Ausgangssperren zu einer starken Einschränkung in der Kommunikation führen werden. Denn insoweit wäre der Kunde verpflichtet, im Fall einer etwaigen Vor-Ort-Kontrolle das Vorliegen eines wichtigen Grundes für das Verlassen seiner Wohnung nachzuweisen. Angesichts der möglichen Folgen eines Verstoßes gegen eine Ausgangssperre (s.o.) dürften die meisten Kunden– können sie einen wichtigen Grund nicht nachweisen – von einer direkten persönlichen Kontaktaufnahme absehen.
Welche Entwicklungen sind zu erwarten?
In den kommenden Tagen ist es durchaus wahrscheinlich, dass in weiteren Bundesländern Ausgangssperren verhängt werden. Im Hinblick auf die bestehende Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 IfSG erscheint auch ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes nicht ausgeschlossen. Dabei ist insbesondere eine klarere Regelung der möglichen Reichweite von Ausgangssperren und der Folgen bei Verstößen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit wünschenswert.