Wie werden Nachhaltigkeitsrisiken definiert und verantwortlich gesteuert?

In ihrem Diskussionspapier macht die europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) Vorschläge zur Definition von ESG-Risiken und gibt Guidance, wie Institute diese in ihre internen Geschäftsprozesse sowie ins Risikomanagement einbeziehen können.
Dr. Nina Scherber,
Dr. Nils Christian Ipsen
Friday November 13th, 2020

Mit leichter Verzögerung hat die EBA am 3. November 2020 ihr Diskussionspapier zum Management sowie zur Überwachung von ESG-Risiken für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen zur Konsultation veröffentlicht. Das 154 Seiten starke Diskussionspapier soll den für den 28. Juni 2021 vorgesehenen EBA-Bericht über die Einbeziehung von ESG-Risiken in Unternehmensführung, Risikomanagement sowie die Aufsichtspraxis vorbereiten (Art. 98 Abs. 8 CRD V).

EBA definiert ESG-Faktoren, ESG-Risiken sowie deren Übertragungskanäle

Die EBA geht zunächst auf die Bedeutung von ESG-Faktoren und ESG-Risiken für den Finanzsektor ein und erörtert eine einheitliche Definition (Kapitel 4). Bei ESG-Faktoren soll es sich nach den Vorschlägen von EBA um Umwelt-, Sozial- oder Governance-Merkmale handeln, die einen positiven oder negativen Einfluss auf die finanzielle Leistungsfähigkeit oder Solvenz eines Unternehmens, eines Staates oder einer Einzelperson haben können. Ergänzt wird die Definition durch eine nicht abschließende Auflistung von ESG-Faktoren und Indikatoren (Anhang 1). Mit ihrer Definition für ESG-Faktoren weicht EBA zwar vom Wortlaut der Definition in Art. 2 Ziff. 24 SFDR ab, der Nachhaltigkeitsfaktoren als Umwelt-, Sozial und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung definiert. Inhaltlich dürfte diese Abweichung jedoch keinen Widerspruch zur SFDR-Definition begründen.

Für die Herleitung einer praxistauglichen Definition von ESG-Risiken erfolgt zunächst eine Darstellung und Analyse bereits existierender Definitionen mit Beispielen, um die Relevanz von Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken für den Finanzsektor zu verdeutlichen. Für die Zwecke des Diskussionspapiers werden als ESG-Risiken nur die negativen Auswirkungen von ESG-Faktoren der Gegenparteien eines Instituts betrachtet. Nach dem Verständnis der EBA treten ESG-Risiken somit dann auf, wenn sich ESG-Faktoren auf die Gegenparteien von Instituten auswirken und dadurch einen negativen Einfluss auf die finanzielle Leistungsfähigkeit oder Solvenz der Institute haben.

Nicht Gegenstand der Definition von ESG-Risiken sind nach dem Diskussionspapier hingegen ESG-Faktoren, denen die Institute selbst ausgesetzt sind und die bei ihnen ggf. ESG-Risiken hervorrufen: z.B. physische Auswirkungen des Klimawandels auf die Räumlichkeiten der Institute oder der Auslagerungsunternehmen. Damit betrachtet die EBA ESG-Risiken aus einem engeren Blickwinkel als die EZB, die in ihrem Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken die Erwartung ausspricht, dass Institute gerade auch physische Risiken auf ihren Geschäftsbetrieb im Allgemeinen zu prüfen haben (Erwartung 9.1. des EZB-Leitfadens). Insofern erscheint es überraschend, dass die EBA ihre Risikodefinition in dieser Weise begrenzt, zumal sie solche „eigenen“ Risiken an anderer Stelle gleichwohl erwähnt.

Detailliert geht das Diskussionspapier auf die Übertragungskanäle ein, über die sich Risiken verwirklichen können. Physische Risiken können sich daraus ergeben, dass die Gegenparteien der Institute physischen Auswirkungen von Klimawandel oder anderen Umweltfaktoren ausgesetzt sind (z.B. Unterbrechung der Lieferketten aufgrund von Überschwemmungen). Transitionsrisiken können entstehen, wenn die Gegenparteien durch den Übergang zu einer kohlenstoffarmen, klimaresistenten oder ökologisch nachhaltigen Wirtschaft aufgrund von politischen, technologischen und Verbraucherentscheidungen negativ beeinflusst werden können (z.B. Ölkonzerne oder Kohlebergbauunternehmen).

EBA liefert Methoden und Tools, um ESG-Risiken zu identifizieren und zu bewerten

Um ein besseres Verständnis sowie eine Vergleichbarkeit des Zusammenwirkens von ESG-Risiken in bestehenden Exposures und Portfolien von Instituten zu ermöglichen, findet sich im 5. Kapitel des Diskussionspapiers eine nicht abschließende Liste quantitativer und qualitativer Definitionen, Indikatoren und Metriken für ESG-Faktoren.

Ferner werden dort verschiedene Instrumente und Methoden beschrieben, die eine Identifizierung, Bewertung und Einschätzung von ESG-Risiken unterstützen können: Nach der Alignment-Methode sollen Institutionen, Investoren und Aufsichtsbehörden verstehen, inwieweit Portfolios mit den weltweit vereinbarten (Klima-) Zielen übereinstimmen. Bei der  Risk Framework-Methode wird hingegen untersucht, wie sich Nachhaltigkeitsthemen auf das Risikoprofil des Portfolios einer Bank und ihre Standardrisikoindikatoren auswirken. Die Exposure-Methode verfolgt den Ansatz, die Performance eines Exposures direkt im Hinblick auf ESG-Risiken zu bewerten. Im Zusammenspiel mit der TaxonomieVO sollen diese Analysetools dazu beitragen, einige der Herausforderungen bei der Bewertung von ESG-Risiken zu überwinden. Auch wenn sich die drei Methoden in ihrer Anwendbarkeit und Praktikabilität unterscheiden, können sie bei der Bewertung von ESG-Risiken nebeneinander zum Einsatz kommen.

Wie können Institute ESG-Risiken in ihre interne Governance- und Risikomanagementprozesse einbeziehen?

Die EBA geht davon aus, dass sich ESG-Risiken innerhalb der bestehenden aufsichtsrechtlichen Risiken (z.B. Kreditrisiko, Marktrisiko, operationelles Risiko) auswirken können, die Institute hingegen ESG-Risiken bislang zu wenig als finanzielle Risiken betrachten. In dem Diskussionspapier (Kapitel 6) wird deswegen die Notwendigkeit analysiert, ESG-Risiken in die Geschäftsstrategie, Unternehmensführung sowie in das Risikomanagement einzubeziehen. Institute können z.B. Umwelt- und Sozialszenarien in den Planungsprozess einbeziehen, ESG-Risiko-bezogene strategische Ziele festlegen, den daraus resultierenden Anpassungsbedarf bewerten und ggf. ihre Geschäftsprozesse anpassen. Auf diese Weise können ESG-Risiken gesenkt werden.

Daneben empfiehlt die EBA, ESG-Risiken in die Risikomanagement-Rahmenwerke der Institute aufzunehmen, indem z.B. bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit auch ESG-Risiken berücksichtigt werden, entsprechende Daten frühzeitig beschafft und fortlaufend konkretisiert werden. Zudem sollten ESG-Risiken als Treiber aufsichtsrechtlicher Risiken innerhalb des Risikomanagement-Rahmen, des ICAAP- und ILAAP-Rahmens und in Sanierungsplänen abgebildet werden.

Das Diskussionspapier schlägt ferner vor, ESG-Risikoerwägungen in die für den Bankensektor geltenden Richtlinien und Verordnungen (z.B. CRD und CRR) aufzunehmen. So könnten die Bestimmungen zu Governance und Risikomanagement um Vorgaben zur Festlegung und Umsetzung langfristig belastbarer Geschäftsstrategien erweitert werden. Denkbar wäre daneben, die Anforderungen an das Risikomanagement um die Einbeziehung von ESG-Risiken zu erweitern. Insgesamt erhofft sich die EBA hierdurch ein besseres strategischen Management der kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen von ESG-Risiken. Dies könnte durch die Einführung eines Stresstests zu Klimarisiken ergänzt werden (vgl. auch EBA-GL Stresstest).

In einem eigenen Unterkapitel behandelt das Diskussionspapier die Besonderheiten von Wertpapierfirmen. Auch diese Institute haben nach Ansicht der EBA bei der Einbeziehung von ESG-Risiken in Geschäftsstrategien und -prozesse noch Verbesserungspotential. Demgemäß empfiehlt EBA, dass Wertpapierfirmen in ihren internen Governance- und Risikomanagement-Rahmenbedingungen die Relevanz von ESG-Faktoren und ESG-Risiken in Abhängigkeit von ihren spezifischen Geschäftsaktivitäten bewerten.

ESG-Risiken sind auch im aufsichtlichen Überprüfungsprozess zu bewerten

Abschließend erläutert die EBA, wie sich die Einbeziehung von ESG-Risiken im aufsichtlichen Überprüfungsprozess für Kreditinstitute bewerten lässt (Kapitel 7). Dabei betont sie, dass ihre Empfehlungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Jedoch sind auch kleinere Institute keinesfalls immun gegen ESG-Risiken. Vielmehr können diese u.U. noch anfälliger für Nachhaltigkeitsrisiken sein, etwa wenn sie besonders stark in einem anfälligen Sektor engagiert oder in einer anfälligen Region verortet sind.

Damit ESG-Risiken im aufsichtlichen Überprüfungsprozess abgebildet werden, empfiehlt die EBA zum einen ESG-Faktoren und -Überlegungen in verhältnismäßiger Weise in die Geschäftsmodellanalyse einzubeziehen. Zum anderen hält es die EBA für notwendig, einen neuen, längere Zeithorizonte berücksichtigenden Analysebereich in die aufsichtsrechtliche Beurteilung einzuführen. Andernfalls können längerfristige Auswirkungen von ESG-Risiken nicht in die Prüfung mit einbezogen werden.

Im Einklang mit den ausgesprochenen Empfehlungen für die Berücksichtigung von ESG-Risiken durch die Institute, sollte die aufsichtliche Überprüfung ESG-Risiko-spezifische Erwägungen angemessen in die Bewertung der internen Governance und der umfassenden Kontrollen des Kreditinstituts einbeziehen. Auch bei der aufsichtlichen Überprüfung sollen ESG-Risiken als Treiber für finanzielle Risiken, insbesondere Kapital-, Liquiditäts- und Finanzierungsrisiken, verstanden und angemessen berücksichtigt werden.

Fazit und Ausblick

EBA plant, den endgültigen Bericht zur Erfüllung ihres Mandats aus Art 98 Abs. 8 CRD V im Juni 2021 vorzulegen. Die Konsultation für das nun veröffentlichte, den Endbericht vorbereitende Diskussionspapier läuft noch bis zum 3. Februar 2021. Eine rege Beteiligung an der Konsultation erscheint aus Sicht der betroffenen Institute ratsam, da die EBA das mit der Konsultation erbetene Feedback in ihren endgültigen Bericht zum Management und zur Überwachung von ESG-Risiken für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen berücksichtigen wird.

Ferner ist geplant, Rückmeldungen aus der Konsultation auch im Rahmen der Arbeiten an den weiteren Mandate mit ESG-Bezug zu berücksichtigen. Dies betrifft etwa die Entwicklung eines technischen Standards der die ESG-Risiken implementiert sowie die Ausarbeitung der Offenlegungsanforderungen der Säule 3 in Teil Acht der CRR 2 (Artikel 434a und 449a CRR 2). Gleiches gilt auch mit Blick das EBA-Mandat aus Art.  501c CRR 2. In dessen Rahmen hat die EBA zu untersuchen, ob eine spezielle aufsichtsrechtliche Behandlung von Risikopositionen im Zusammenhang mit Vermögenswerten oder Aktivitäten, die mit ökologischen und/oder sozialen Zielen verbunden sind, als Bestandteil der Kapitalanforderungen der Säule 1 gerechtfertigt wäre.

Institute, die bereits damit begonnen haben, ESG-Faktoren und -Risiken in ihre internen Prozesse zu integrieren, haben über die Konsultation die Möglichkeit, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in das Verfahren einzubringen.

Institute, die das Thema Nachhaltigkeit noch nicht auf ihrer Agenda haben, sollten dies spätestens jetzt angehen. Neben dem EZB-Leitfaden zu Klima und Umweltrisiken und dem BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken gibt nunmehr auch die EBA den Instituten mit ihrem Diskussionspapier wichtige Anhaltspunkte für eine umsichtige Steuerung von Nachhaltigkeitsrisiken an die Hand.

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