Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft: Neue Möglichkeiten für Taxonomiekonformität der Bau- und Immobilienwirtschaft

Die technischen Bewertungskriterien für die vier verbleibenden Umweltziele der Taxonomie wurden von der EU-Kommission im Environmental Delegated Act zur Konsultation gestellt. Diese ermöglichen dem Sektor Baugewerbe und Immobilien, durch einen Beitrag zum Übergang zur Kreislaufwirtschaft taxonomiekonform zu werden. Auch der Rückbau und weitere Tätigkeiten sollen erstmals einen wesentlichen Beitrag leisten können.
Dr. Anneke Flatow,
Leon Blacher
Thursday May 4th, 2023

Regulatorischer Überblick

Bisher hat die Europäische Kommission in der Taxonomie die Ziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel priorisiert. Das Reporting der Immobilienwirtschaft zur Taxonomiefähigkeit ihrer Wirtschaftstätigkeiten im Hinblick auf diese Klimaziele hat bereits begonnen, aktuell müssen die großen kapitalmarktorientierten Immobilienunternehmen mit mehr als 500 MitarbeiterInnen die KPIs ihrer Taxonomiekonformität (Umsatz, CapEx und OpEx) für das Geschäftsjahr 2022 offenlegen. Ab dem 1. Januar 2023 finden eigentlich auch die vier Umweltziele, insbesondere der für die Immobilienbranche bedeutsame Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Anwendung.

Die Taxonomie-VO ermöglicht eine Klassifizierung wirtschaftlicher Aktivitäten als ökologisch nachhaltig, wenn sie (i) einen wesentlichen Beitrag zu einem Nachhaltigkeitsziel leisten, (ii) ohne einem anderen Nachhaltigkeitsziel erheblich zu schaden (do no significant harm („DNSH-Anforderung“), und (iii) ein in Art. 18 Taxonomie-VO festgelegter (sozialer) Mindestschutz eingehalten wird. Konkretisiert werden die ersten beiden Voraussetzungen durch sog. technische Bewertungskriterien (Technical Screening Criteria („TSC“)) über delegierte Verordnungen der EU-Kommission („DelVO“).

Rechtsverbindlich sind bislang DelVO mit TSC für die klimabezogenen Nachhaltigkeitsziele Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel („Climate Delegated Act“, kürzlich um die Klassifizierung von Kernkraft und Gas erweitert). Darüber hinaus sind bereits Konkretisierungen zu den Offenlegungspflichten nach Art. 8 der Taxonomie-VO implementiert („Disclosure Delegated Act“).

Die Kommission hat nun Entwürfe von zwei Delegierten Rechtsakten zur Taxonomie-VO zur Konsultation gestellt, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten sollen. Diese enthalten – deutlich verspätet – TSC für die weiteren vier nicht klimabezogenen Umweltziele („Environmental Delegated Act“) sowie Änderungen des Climate Delegated Act und des Disclosure Delegated Act. Die Entwürfe basieren auf Empfehlungen der PoSF und wurden mit der Sachverständigengruppe der Mitgliedsstaaten beraten. Stellungnahmen zu den konsultierten Entwürfen konnten bis zum 3. Mai 2023 eingereicht werden.

Zirkuläres Bauen als taxonomiekonforme Tätigkeiten

Für Unternehmen im Bau- und Immobiliensektor sind insbesondere die neu klassifizierten Level 2-Vorgaben für den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft (Ziff. 3.1 bis 3.5 Annex II Environmental Delegated Act) von Bedeutung, denn das Baugewerbe gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren und ist für etwa ein Drittel aller in der EU erzeugten Abfälle verantwortlich. Nach dem Bericht der Platform on Sustainable Finance („PoSF“) liegt deshalb bei Neubauten und Renovierungen das Hauptziel darin, dass diese Tätigkeiten zukünftig zum Umweltziel Kreislaufwirtschaft beitragen.

Neubau und Renovierungen von Gebäuden können bereits einen wesentlichen Beitrag zu den klimabezogenen Umweltzielen leisten (Ziff. 7.1 und 7.2 Anhang I Climate Delegated Act). Nun wird für sie die Möglichkeit eines wesentlichen Beitrags auch zur Kreislaufwirtschaft eröffnet.

Erstmals wird die Taxonomie zudem den Abbruch und Rückbau von Gebäuden und Infrastrukturbauwerken als eigenständige Tätigkeit erfassen. Im Climate Delegated Act waren Pflichten beim Abriss bisher lediglich als DNSH-Kriterien zu berücksichtigen. Soweit Projekte neben dem Neubau oder der Renovierung auch den Rückbau umfassen, gelten die TCS für Neubau bzw. Renovierung.

Auch die Instandhaltung von Straßen und Autobahnen aus Asphalt, Beton oder Asphaltbeton und die Verwendung von Beton bei anderen Infrastrukturbauwerken sollen nun als neue Wirtschaftstätigkeiten zur Kreislaufwirtschaft beitragen können.

Sehr hohe Anforderungen: technische Bewertungskriterien für Neubau, Renovierung und Abbruch

Die technischen Anforderungen an die Taxonomiefähigkeit bei dem Umweltziel des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft sind generell sehr hoch. Für die Tätigkeiten Neubau, Renovierung und Abbruch gelten strenge Regelungen zur Entsorgung und Behandlung der Abfälle. Weitere Hürden für Neubau und Renovierung sind die anspruchsvollen Quoten für die Nutzung von Sekundärrohstoffen und die erforderliche Dokumentation der Gebäudemerkmale und verwendeten Materialien.

Der Neubau von Gebäuden kann einen wesentlichen Beitrag leisten, wenn (verkürzt)

  • alle Bau- und Abbruchabfälle in Übereinstimmung mit EU Rechtsakten zur Entsorgung und allen Anforderungen der Checkliste aus dem EU Construction and Demolition Waste Management Protocol entsorgt werden, wobei nach Gewicht mind. 90 % der nicht gefährlichen Bau- und Abbruchabfälle für die Wiederverwendung oder das Recycling vorbereitet werden müssen (mit einigen Ausnahmen),
  • das Treibhauspotenzial des Gebäudes für jede Phase des Lebenszyklus berechnet und Investoren und Kunden auf Anfrage offengelegt wird,
  • bei Planung und Technik Konzepte für die Anpassungsfähigkeit und den Rückbau der Gebäude einbezogen und nachgewiesen werden,
  • der Einsatz von Primärrohstoffen durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen auf ein Minimum reduziert wird und bestimmte Verwendungsquoten von Primärrohstoffen für die drei schwersten verwendeten Materialkategorien nicht überschritten werden (z.B. Beton und Stein insgesamt max. 70 %),
  • die Merkmale des Gebäudes einschließlich der verwendeten Materialien und Komponenten zum Zweck der zukünftigen Instandhaltung, Rückgewinnung und Wiederverwendung digital beschrieben, dem Kunden zur Verfügung gestellt und über die Nutzungsdauer des Gebäudes hinaus sicher aufbewahrt werden.

Die DNSH-Anforderung wird dabei gewahrt, wenn

  • der Primärenergiebedarf, der die Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes angibt, nicht den Schwellenwert für ein Niedrigstenergiegebäude gemäß den nationalen Umsetzungsvorschriften zur Richtlinie über die Gesamteffizienz von Gebäuden überschreitet; dieser liegt in Deutschland aktuell bei 55 Prozent des jeweiligen Referenzgebäudes (§§ 15, 18 Gebäudeenergiegesetz),
  • das Gebäude nicht der Gewinnung, der Lagerung, dem Transport oder der Herstellung von fossilen Brennstoffen dient und
  • im Übrigen dieselben TSC für die Klimaanpassung und die übrigen Umweltziele eingehalten werden, die auch im Climated Delegated Act für einen Neubau vorgesehen sind.

Die TSC für einen wesentlichen Beitrag bei einer Renovierung entsprechen überwiegend denen für den Neubau, enthalten aber etwas weniger strenge Grenz- und Schwellenwerte. So müssen z.B. nur 70% der nicht gefährlichen Bau- und Abbruchabfälle aufbereitet und es dürfen mehr Primärrohstoffe verwendet werden. Zudem müssen mindestens 50 % der Bruttogeschossfläche des ursprünglichen Gebäudes erhalten bleiben. Auch die Anforderungen an das DNSH-Kriterium sind fast identisch, auf den Primärenergiebedarf des Gebäudes kommt es jedoch nicht an.

Bei Abbruch und Zerstörung ist ein wesentlicher Beitrag zu bejahen, wenn

  • bestimmte Aspekte aus der Checkliste der Level(s) indicator 2.2 zuvor mit dem Auftraggeber vereinbart werden, u.a. KPIs, Ermittlung von projektspezifischen Einschränkungen, die das angestrebte Ziel beeinträchtigen könnten (z. B. Zeit, Arbeit und Platz), und Möglichkeiten zur Minimierung dieser Beeinträchtigungen,
  • der Unternehmer vor Abrissbeginn ein dem EU Construction and Demolition Waste Management Protocol entsprechendes Audit durchführt,
  • die Abbruchabfälle nahezu genauso wie bei Neubau und Renovierung entsorgt und für die Wiederverwendung oder das Recycling vorbereitet werden.

Die DNSH-Anforderung wird gewahrt, wenn u.a. (nicht abschließend)

  • fluorierte Treibhausgase und andere klimaschädliche Schaumstoffe so entsorgt werden, dass eine Emission dieser Gase weitestgehend verhindert wird,
  • das Erreichen guter Zustände der Meere nicht behindert wird,
  • Maßnahmen zur Verringerung von Lärm-, Staub- und Schadstoffemissionen getroffen werden.

Änderungen des Climate Delegated Act: Infrastrukturbauwerke können Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel leisten

Daneben wurden von der Kommission neue TSC für die klimabezogenen Umweltziele zur Konsultation gestellt. Unter anderem soll das Civil Engineering – also Bau oder Wiederaufbau von Infrastrukturbauwerken – als neue Tätigkeit aufgenommen werden, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaziel Anpassung an den Klimawandel leisten kann (Ziff. 7.8 Anhang Climate Delegated Act nF). Die TSC orientieren sich hier schwerpunktmäßig daran, ob Klimarisiken beim Bau berücksichtigt werden.

Übergangsregeln für die Offenlegung der neu klassifizierten Aktivitäten

Die Verpflichtungen zur Offenlegung nach Art. 3 ff. Taxonomie-VO erstrecken sich seit dem 1. Januar 2023 eigentlich auch auf die vier Umweltziele. Da die erforderlichen TSC bisher jedoch nicht vorlagen, konnte diese Pflicht nicht erfüllt werden. Die EU-Kommission hat nun folgende Änderungen des Disclosure Delegated Act vorgeschlagen, um der Verzögerung Rechnung zu tragen:

  • Für Nichtfinanzielle Unternehmen soll ein Phase-In für Aktivitäten des Environmental Delegated Act und bestimmter Tätigkeiten des Climate Delegated Act – also auch für die oben genannten Aktivitäten der Immobilienwirtschaft – gelten: Bis Ende 2024 muss von den berichtspflichtigen Unternehmen nur die Taxonomiefähigkeit, nicht aber die Taxonomiekonformität dieser Aktivitäten offengelegt, die KPIs der Taxonomiekonformität (Umsatz, CapEx und OpEx) müssen erst ab dem 1. Januar 2025 abgebildet werden.
  • Finanzunternehmen sollen parallel dazu für dieselben Tätigkeiten nur eine Asset Ratio von taxonomiefähigen und nicht taxonomiefähigen Vermögenswerten offenlegen. Die KPIs für Finanzunternehmen (insb. Die Green Asset Ratio) müssen die o.g. Tätigkeiten erst ab dem 1. Januar 2026 abbilden.

Ausblick: Transformation zur Kreislaufwirtschaft als Chance oder Notwendigkeit?

Zwar ist das zirkuläre Bauen oder „cradle-to-cradle“ in aller Munde, aber die Immobilienbranche ist auf den Wandel zur Kreislaufwirtschaft nicht vorbereitet und die Zirkularität in der Realität noch nicht angekommen. Nach einer Studie u.a. der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. konnte z.B. keines der im Jahr 2022 untersuchten, überwiegend zertifizierten 38 Neubau- und Sanierungsprojekte nach den vorgeschlagenen Kriterien für das Umweltziel Kreislaufwirtschaft als taxonomiekonform eingestuft werden, mehr als die Hälfte aller Neubauten erfüllte weniger als 50 Prozent der Anforderungen.

Der Environmental Delegated Act erhöht durch die TSC für das Umweltziel Kreislaufwirtschaft grundsätzlich das Potential der Immobilienbranche für taxonomiekonformes Wirtschaften. Eindeutig ist dies für die bisher nicht klassifizierten Tätigkeiten des Rückbaus, der Instandhaltung von Straßen und Autobahnen, der Verwendung von Beton bei Infrastrukturbauwerken und dem Bau oder Wiederaufbau von Infrastrukturbauwerken.

Im Hinblick auf die Tätigkeiten Neubau und Renovierung von Gebäuden bleibt aber abzuwarten, ob dies tatsächlich genutzt wird oder ob die Branchenteilnehmer sich zur Erreichung der Taxonomiekonformität nicht eher für Beiträge zu den Klimazielen entscheiden werden, da diese im Vergleich – jedenfalls auf längere Sicht – technisch leichter umsetzbar und mit weniger Aufwand und Kosten verbunden sein dürften. Es besteht auch allenfalls ein beschränkter Anreiz, zu mehreren Zielen beizutragen, weil der auszuweisende Anteil der taxonomiekonformen Wirtschaftstätigkeiten eines Unternehmens dadurch nicht erhöht wird, Doppelzählungen sind vielmehr zu vermeiden (z.B. Ziff. 1.2.2.2 Anhang I Disclosure Delegates Act).

Im Zusammenspiel mit hohen Entsorgungskosten, sich verschärfender Materialknappheit, sowie steigenden Material-/Energiepreisen und umweltrechtlichen Anforderungen besteht dennoch Hoffnung, dass diese Regulierung die Transformation von einer „Wegwerfproduktion“ hin zu einem zirkulären, nachhaltigen Bauen beschleunigt.

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