(Vorerst) keine grünen und braunen Anpassungsfaktoren für E&S-Risiken in Säule 1
Wie ist der Bericht einzuordnen?
“EBA führt erstmalig ESG-Faktoren bei Kapitalanforderungen ein“, titelte jüngst eine namhafte Zeitung. Von der Einführung von Eigenmittelanforderungen oder -erleichterungen aufgrund von Umweltaspekten ist die Realität hingegen noch weit entfernt. Tatsächlich hatte die EBA mit ihrem Bericht vom 12. Oktober 2023 lediglich eine umfassende Analyse über eine mögliche Berücksichtigung von E&S-Risiken im Rahmen der Eigenmittelanforderungen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen vorgelegt.
Anlass für den Bericht sind die Prüfmandate aus Art. 501c Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – der Eigenkapitalverordnung (CRR) und Art. 34 der Verordnung (EU) 2019/2033CRR – der Verordnung über Wertpapierfirmen (IFR): Hiernach hatte die EBA zunächst bis 2025 zu prüfen, ob eine spezielle aufsichtliche Behandlung von Risikopositionen im Zusammenhang mit Vermögenswerten gerechtfertigt wäre, die in erheblichem Maße mit ökologischen und/oder sozialen Zielen verbunden sind, mit anderen Worten: ob in Bezug auf solche Vermögenswerte sog. green supporting factors (GSF) gerechtfertigt wären. Der Kommissionsvorschlag zur Änderung der CRR über das sog. Bankenpaket 2021 sieht vor, diesen Prüfbericht zeitlich auf 2023 vorzuziehen und inhaltlich um die Prüfung von sog. brown penalising factors (BPF) für bestimmte aus ökologischer Sicht kritische Risikopositionen zu erweitern. Dem Bericht war ein am 2. Mai 2022 zur Konsultation veröffentlichtes Diskussionspapier der EBA (vgl. hierzu Blog_lindenpartners) vorausgegangen.
Keine risikogewichteten umweltbezogenen Anpassungsfaktoren
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der Eigenmittelunterlegung in Säule 1 ist nicht nur ein äußerst komplexes, sondern vor allem auch ein hochumstrittenes Thema. Das BMF und die BaFin haben immer wieder verlautbaren lassen, dass sie einer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten über risikogewichtete umweltbezogene Anpassungsfaktoren in Säule 1 in Form von GSF bzw. BPF kritisch gegenüberstehen. In Ihrem Bericht setzt sich die EBA mit diesen Argumenten und denen der Befürworter solcher Anpassungsfaktoren auseinander (Kap. 3.5 des Berichtes) und kommt zu dem Ergebnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine umweltbezogenen risikogewichteten Anpassungsfaktoren eingeführt werden sollten.
Aus Sicht der EBA müssen vor einer Einführung zunächst bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Beispielsweise sollte erst eindeutig belegt sein, dass bestimmte Aktiva aufgrund von Umweltrisikotreibern tatsächlich unterschiedliche Risikoprofile aufweisen. Außerdem müsste erwiesen sein, dass der jetzige Aufsichtsrahmen diese Risikotreiber nicht erfassen kann. Daneben sieht die EBA bei der Gestaltung und Umsetzung von Anpassungsfaktoren erhebliche konzeptionelle sowie operative Herausforderungen, etwa im Hinblick auf deren Kalibrierung sowie deren komplexe Interaktion mit dem bestehenden Aufsichtsrahmen in Säule 1. Weitere Hindernisse ergeben sich laut EBA aus fehlenden aussagekräftigen Daten und Methoden, um Umwelttreiber identifizieren und quantifizieren können, so dass eine Bestimmung des Umfangs und der Größe von Anpassungsfaktoren nicht sicher erfolgen könne.
Verbesserungsvorschläge zur Erfassung von ökologischen und sozialen Risiken
Neben der Analyse und Bewertung von Anpassungsfaktoren formuliert die EBA in ihrem Bericht zahlreiche kurzfristige sowie mittel- bis langfristige Verbesserungsvorschläge, wie E&S-Risiken im Säule1- Aufsichtsrahmen erfasst werden können. Die Vorschläge richten sich teilweise direkt an die Institute, teilweise aber auch an die EBA selbst bzw. die zuständigen Aufsichtsbehörden, Ratingagenturen sowie den europäischen Gesetzgeber. Dabei werden Maßnahmen in Bezug auf einzelnen Risikoarten (Kreditrisiko, operationelles Risiko, Liquiditätsrisiko und Konzentrationsrisiko) sowie auf Kapitalpuffer und den makroprudenziellen Rahmen empfohlen.
Kurzfristig an die Institute gerichtete Maßnahmen
Die EBA empfiehlt den Instituten folgende Maßnahmen kurzfristig, d.h. im Verlauf der nächsten drei Jahren, zu ergreifen:
- Bei der Bewertung von Immobiliensicherheiten sollen relevante Umweltfaktoren berücksichtigt werden. Dabei können Anpassungen insbesondere dann notwendig werden, wenn der aktuelle Marktwert der Sicherheit relevante Risiken im Zusammenhang mit Umweltfaktoren, die die Nachhaltigkeit des Marktwerts der Immobilie während der Lebensdauer der Risikoposition beeinträchtigen könnten, nicht angemessen berücksichtigt.
- Institute, die bei der Bewertung des Kreditrisikos den IRB-Ansatz zugrunde legen, sollen in die Stresstests nach Art. 177 CRR Umweltrisiken einbeziehen.
- Institute, die bei der Bewertung des Marktrisikos einen auf internen Modellen basierenden Ansatz verwenden, sollten Umweltrisiken in ihre Stresstests nach Art. 325bi CRR einbeziehen.
- Bei der Bewertung operationeller Risiken ist zusätzlich zur bestehenden Taxonomie des operationellen Risikos zu ermitteln, ob ökologische und soziale Faktoren Auslöser für Verluste sind.
E&S-Risiken von Wertpapierfirmen sollen zunächst nur in Säule 2 behandelt werden
Der Bericht geht auch auf die Behandlung von E&S-Risiken durch Wertpapierfirmen ein, empfiehlt insoweit aber keine kurzfristige Änderung des aufsichtsrechtlichen Rahmens für Wertpapierfirmen. Vielmehr soll kurzfristig die aufsichtsrechtliche Behandlung von E&S-Risiken für Wertpapierfirmen in Bezug auf alle K-Faktoren, einschließlich derer, die sich auf Risiken für Kunden (RtC) beziehen, im Säule 2-Aufsichtsrahmen verbleiben.
Als mittel- bis langfristige Maßnahme schlägt die EBA hingegen vor, potenziellen Änderungen des CRR/CRD-Rahmens auf den aufsichtsrechtlichen Rahmen für Wertpapierfirmen auszudehnen, sofern dieser anwendbar ist. Dies würde insbesondere die Teile des Aufsichtsrechtsrahmens für Wertpapierfirmen betreffen, die direkt oder sehr eng mit der CRR verbunden sind (z.B. K-Faktoren für das Marktrisiko, das Konzentrationsrisiko im Handelsbuch, CVA und das Gegenparteiausfallrisiko).
Fazit
Die in der Finanzbranche überwiegend kritisch beäugten Anpassungsfaktoren dürften damit vorerst vom Tisch sein.
Ob sich das Thema damit endgültig erledigt hat, steht hingegen noch nicht fest: Denn mittel- bis langfristig wird die EBA erneut prüfen (müssen), ob und in welcher Form umweltbezogene risikogewichtete Anpassungsfaktoren in Bezug auf einzelne Vermögenswerte aufsichtsrechtlich solide und risikobasiert berücksichtigt werden können.