Neue Sammelklage: Der Gesetzesentwurf für die neue Verbands-Abhilfeklage und anstehende Anwendungsfälle
Nach konkurrierenden Umsetzungskonzepten (über die wir im Blog berichtet und in einem lindenpartners law lab mit hochkarätigen Gästen eingehend diskutiert haben) liegt nunmehr der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums („RefE“) für das Umsetzungsgesetz vor und befindet sich in der Ressortabstimmung.
Ebenso, wie bei der im Zuge des Diesel-Skandals eingeführten Musterfeststellungsklage, liegt die Klagebefugnis für eine Abhilfeklage allein bei den entsprechend qualifizierten Verbänden. Anders als unter der Musterfeststellungsklage können klageberechtigte Verbände mit Hilfe der Abhilfeklage aber unmittelbar auf Leistung klagen, die Verbraucherinnen und Verbrauchern und Kleinunternehmen zugutekommt, die sich aktiv zur Klage angemeldet haben.
Erste Anwendungsfälle für die neue Abhilfeklage stehen vor der Tür: Die Verbraucherzentralen haben beispielsweise angekündigt, den Energiemarkt in der aktuellen Krise genau zu analysieren und verstärkt juristisch gegen Anbieter vorzugehen, die unberechtigte Preisanpassungen, fehlerhafte Erhöhungsschreiben oder Abschlagszahlungen durchsetzen wollen. Erste Musterfeststellungklagen sind bereits erhoben. Sobald die Abhilfeklage verfügbar ist, wird sie daher voraussichtlich rege genutzt werden.
Kernfeststellungen zum RefE Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz („VDuG“)
In zwei maßgeblichen Punkten geht der RefE über die Vorgaben der EU-Richtlinie spürbar hinaus:
- Die Richtlinie schreibt die Einführung von Verbandsklagen nur für Rechtsverstöße vor, die gegen bestimmte (dort enumerativ aufgeführte) EU-Vorschriften erfolgen. Hierüber geht der RefE deutlich hinaus. Nach dem RefE können sämtliche Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbraucher gegen Unternehmen per Verbandsklage geltend gemacht werden.
- Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, eröffnet der RefE – über die Richtlinie hinausgehend – auch kleinen Unternehmen das Recht, ihre Ansprüche zur Verbandsklage anzumelden und damit durch den klagenden Verband durchsetzen zu lassen. Kleine Unternehmen sind solche, die weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs dürfte erhebliche Auswirkungen haben, denkt man allein an möglicherweise anstehende Verbandsklagen gegen Energieversorgungsunternehmen.
Ansonsten hat das Bundesjustizministerium Umsetzungswünsche der Verbraucherschutzverbände vor allem in folgenden Punkten nicht in den RefE aufgenommen:
- Eine Gruppenklage, wie sie die Verbraucherverbände ergänzend zur Richtlinienumsetzung gefordert haben, ist nicht Teil des RefE.
- Die Verbraucherschutzverbände wollten erreichen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher und kleine Unternehmen ihre Ansprüche auch dann noch zur Verbandsklage anmelden können, wenn eine Entscheidung des erstinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichts bereits vorliegt. Der RefE belässt es hingegen bei den Anmeldefristen, die bereits unter der bestehenden Musterfeststellungsklage gelten: Die Anmeldung muss bis zum Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung der Verbandsklage erfolgen.
- Klageberechtigte Verbände sorgen sich um ihre Haftung, wenn von Seiten angemeldeter Verbraucherinnen und Verbraucher der Vorwurf fehlerhafter oder pflichtwidriger Prozessführung erhoben wird. Dieses Problem löst der RefE für die klageberechtigten Verbände nicht, sondern belässt es bei der derzeit bestehenden rechtlichen Unsicherheit.
- Die Verbraucherschutzverbände hatten den Wunsch formuliert, dass Kosten der Prozessfinanzierung von Verbandsklagen den unterlegenen Unternehmen zusätzlich zum ausgeurteilten Schadensbetrag (jedenfalls zum Teil) auferlegt werden sollten. Diesen Vorschlag greift der RefE nicht auf. Er enthält lediglich Zulässigkeitsregeln für die Nutzung von Prozessfinanzierungsinstrumenten durch klagende Verbände (insbesondere Verbot der Finanzierung durch Wettbewerber des verklagten Unternehmens).
Mechanik der neuen Verbandsabhilfeklage
Der RefE sieht die Schaffung eines eigenständigen VDuG vor, in dem die Vorschriften zur Musterfeststellungsklage und zur Abhilfeklage gebündelt werden. Die bisher in der ZPO geregelte Musterfeststellungsklage wird danach somit aus der ZPO gestrichen und „wohnt“ zukünftig im VDuG.
Mit der Abhilfeklage können klageberechtigte Stellen – allen voran die nationalen Verbraucherschutzverbände, aber z.B. auch ausländische klageberechtigte Stellen – nunmehr Leistungsansprüche einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern direkt gerichtlich gegen Unternehmen geltend machen. Als Leistungsansprüche kommen nicht nur Schadensersatzansprüche in Betracht, sondern auch Ansprüche auf Rückerstattung von Zahlungen, Nachlieferung oder Reparatur.
Dabei kann die klagende Einrichtung die Klage direkt auf Leistung an konkret benannte Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinunternehmen richten, wenn sie diese abschließend bestimmen kann. Wegen der Anmeldemöglichkeit bis zum Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung wird allerdings im Regelfall bei Klageerhebung nicht abschließend feststehen, wer begünstigt wird und werden will. Die Klage richtet sich dann auf Abhilfe durch Leistung eines im Verfahrensgang zu ermittelnden Betrages, dessen Verteilung im Rahmen eines Umsetzungsverfahrens erfolgen soll. In diesem Fall ist der Verfahrensablauf wie folgt:
- Das zuständige Oberlandesgericht kann durch Abhilfegrundurteil zunächst entscheiden, ob die erhobene Abhilfeklage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Darauf erfolgt der verpflichtende Versuch einer vergleichsweisen Beendigung des weiteren Verfahrens, wobei der Vergleich der Genehmigung des Gerichts bedarf.
- Kommt kein Vergleich zustande, entscheidet das Oberlandesgericht durch Abhilfeendurteil. Richtet sich dieses Urteil gegen das beklagte Unternehmen, wird dieses – auf Basis einer vom Gericht vorzunehmenden vereinfachten Schadensermittlung – zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags zu Händen eines vom Gericht bestellten Sachwalters verurteilt.
- Der gerichtlich bestellte Sachwalter prüft sodann im Rahmen eines Umsetzungsverfahrens die individuellen Anspruchs- bzw. Berechtigungsvoraussetzungen der einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinunternehmen und erfüllt diese aus dem verfügbaren Umsetzungsfonds. Je nach den Ergebnissen des Umsetzungsverfahrens kann der kollektive Gesamtbetrag in einem so genannten Erhöhungsverfahren, das der klageberechtigte Verband führt, durch gerichtliche Entscheidung erhöht oder, wenn er die Summe, der vom Sachwalter zu verteilenden Beträge übersteigt, ermäßigt werden.
- Soweit Abhilfe vom Unternehmer nicht in Geld, sondern durch anderweitige Leistungen zu schaffen ist, kann das Gericht auf Antrag des Sachwalters Zwangsgeld oder Zwangshaft festsetzen, um die Leistungspflicht durchzusetzen.
- Das Umsetzungsverfahrens endet mit Vorlage eines Schlussberichts und einer Schlussrechnung des Sachwalters. Das Gericht prüft und beanstandet ggf. Schlussbericht und -rechnung.
Beweislast mit Bußgeldbewehrung
Der RefE greift nicht in die Beweislastvorschriften der ZPO ein. Er eröffnet dem Gericht aber die Möglichkeit, eines Bußgelds in Höhe von bis zu TEUR 250 festzusetzen, wenn eine vorlagepflichtige Partei einer gerichtlich angeordneten Vorlage nicht nachkommt.
Verhältnis konkurrierender Kollektiv-Klagen
Das heute strittige Konkurrenzverhältnis der Musterfeststellungsklage zu konkurrierenden KapMuG-Klagen regelt der RefE nicht, und zwar weder für die Musterfeststellungsklage noch für die Abhilfeklage. Es bleibt damit unklar, ob Verbandsklagen im Anwendungsbereich des KapMuG zulässig sind.
Klageberechtigte Verbände können gleichermaßen Abhilfeklagen und Musterfeststellungsklagen erheben. Dabei sollen Verbandsklagen Sperrwirkung für gleichartige Verbandskagen entfalten. Danach würde eine vorher erhobene Musterfeststellungsklage offenbar auch eine Abhilfeklage sperren können. Da das VDuG Abhilfeklagen ab dem 25. Juni 2023 ermöglicht, dürfte seitens klageberechtigter Verbände zu entscheiden sein, ob bis zur Möglichkeit der Erhebung einer Abhilfeklage zugewartet werden soll, anstatt diese mit einer frühzeitigen Musterfeststellungsklage nach derzeitigem Recht zu sperren. Denn nur die neue VDuG-Verbandsklage eröffnet Kleinunternehmen die Anmeldung und nur die Abhilfeklage erspart es Verbraucherinnen und Verbrauchern und Kleinunternehmen, noch ggf. selbst auf Leistung klagen zu müssen. Dabei dürfte die Änderung einer nach derzeitigem Recht erhobenen Musterfeststellungsklage in eine Abhilfeklage nach RefE ausscheiden.
Ausblick
Sobald die Abhilfeklage eingeführt ist und genutzt werden kann, wird sie die Musterfeststellungsklage weitgehend verdrängen. In welchem Umfang von ihr Gebrauch gemacht wird, hängt nicht nur von den feststellbaren Rechtsverstößen ab, sondern auch von der Finanzierungsbereitschaft dieser Klagen, sei es durch Finanzierung der Verbraucherverbände durch Bundesministerien, sei es durch Prozessfinanzierer. Wodurch Letztere zu einer Klagefinanzierung motiviert werden sollen, ist allerdings unklar. Denn der klagende Verband kann über die Abhilfeleistungen zuungunsten der begünstigten Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinunternehmen nicht verfügen.