ESG-Haftung (3) – Haftung für (Konzern-)Nachhaltigkeitsberichte (1)
Bestimmte Unternehmen haben zukünftig ihren (Konzern-) Lagebericht um einen umfangreichen (Konzern-) Nachhaltigkeitsbericht zu erweitern. Die Einführung dieser umfangreichen Berichtspflicht beruht im Wesentlichen auf der CSRD , die von den Mitgliedstaaten bis zum 06. Juli 2024 in nationales Recht umzusetzen war. Für die Umsetzung in Deutschland liegt zurzeit ein Referentenentwurf des BMJ („Ref-E“) vor, der im Wesentlichen eine 1:1-Umsetzung der CSRD vorsieht. Danach werden neben weitreichenden Änderungen HGB-rechtlicher Vorschriften auch zahlreiche Vorschriften anderer Gesetze geändert und ergänzt.
Wollen berichtspflichtige Unternehmen und deren Organe die Risiken einer möglichen (ESG-)Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Nachhaltigkeitsberichts (als Teil des Lageberichts) bewerten, sollten sie dies „Anspruchsnorm für Anspruchsnorm“ tun. Denn ein unrichtiger oder unvollständiger Nachhaltigkeitsbericht kann je nach Unternehmen und Verwendung des Berichts eine Haftung nach unterschiedlichen Normen auslösen. Wird der Nachhaltigkeitsbericht z.B. in einem Börsenprospekt verwendet, ergeben sich nach speziellen Normen erhöhte Haftungsfolgen. In unserer Serie „ESG-Haftung“ beginnen wir hier mit dem „Grundfall“.
Deliktshaftung aufgrund der Strafandrohung der §§ 331 f. HGB Ref-E
Eine potenzielle Haftung für „unrichtige oder unvollständige Nachhaltigkeitsberichte“ ergibt sich zunächst aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 331, 331a HGB Ref-E:
- Nach § 331 Abs. 1 Nr. 1 und 3 HGB Ref-E macht sich u.a. strafbar, wer als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs oder Aufsichtsrats die „Verhältnisse der Gesellschaft“ im (Konzern-)Lagebericht „unrichtig wiedergibt oder verschleiert“.
- 331 Abs. 1 Nr. 1a und 3 HGB Ref-E sehen eine Strafbarkeit des vertretungsberechtigten Organs vor, das zum Zwecke der Befreiungen nach §§ 325 Abs. 2a S.1, Abs. 2b oder §§ 291 Abs. 1 und 2 oder 292 Ref-E in einem Einzelabschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 315g HGB n.F.) bzw. in einem Konzernabschluss die „Verhältnisse“ der Gesellschaft bzw. des Konzerns „unrichtig wiedergibt oder verschleiert“.
- Ferner machen sich nach § 331 Abs. 1 Nr. 4 HGB Ref-E Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft oder eines Tochterunternehmens und vertretungsberechtigte Gesellschafter eines Tochterunternehmens (§ 290 Abs. 1, 2 HGB) strafbar, wenn sie dem Abschlussprüfer entgegen §§ 320 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 i.V.m. 324g HGB bzw. §§ 320 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S.3 HGB Ref-E „unrichtige Angaben“ machen oder die „Verhältnisse“ der betreffenden Gesellschaften „unrichtig wiedergeben oder verschleiern“.
- Nach dem Ref-E macht sich ferner strafbar, wer entgegen §§ 289h Abs.1 S. 1 oder Abs. 2 S. 1 (i.V.m. 325 Abs. 2a S. 5), § 315f Abs. 1 oder Abs. 2 S. 1 (i.V.m. 315g Abs. 1) HGB Ref-E eine „unrichtige Versicherung“ abgibt.
Haftung der Organmitglieder nach § 823 Abs. 2 BGB
Aus den genannten Vorschriften ergibt sich eine Strafbarkeit für unrichtige oder verschleiernde Angaben (auch) in Bezug auf den (CSRD-)Nachhaltigkeitsbericht.
Liegen hiernach strafbare Handlungen vor, ergibt sich für die angesprochenen „Täter“ auch eine zivilrechtliche Haftung, insbesondere gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den jeweiligen strafrechtlichen Vorschriften. Danach trifft denjenigen eine Schadensersatzpflicht, der gegen ein den „Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz“ verstößt. Der Schutzgesetzcharakter der (noch anwendbaren) HGB-Strafvorschriften zugunsten aktueller und solcher Anleger des Unternehmens, die ihre Anlageentscheidung auf Grundlage seines Jahresabschlusses treffen, ist allgemein anerkannt. Daran wird die Neufassung der Vorschriften nach dem RefE nichts ändern.
Ändern wird sich, dass aufgrund der erheblich ansteigenden (quantitativen und qualitativen) Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung das Risiko einer unrichtigen oder verschleiernden Wiedergabe im Nachhaltigkeitsbericht und damit auch das Strafbarkeits- und Haftungsrisiko der angesprochenen Verantwortlichen steigt.
Bei Verwirklichung der Straftatbestände kommt daher eine Schadensersatzpflicht der betreffenden Personen gegenüber aktuellen und potenziellen Anlegern des Unternehmens in Betracht.
Haftung des Unternehmens analog § 31 BGB
Nicht nur die „Täter“ (Organe) haften, auch das Unternehmen trifft eine zivilrechtliche Haftung aus diesen Straftaten. Das Unternehmen trifft gemäß § 31 BGB analog grundsätzlich eine Einstandspflicht für deliktische Handlungen seiner Organmitglieder, insbesondere bei vorsätzlichen Verstößen gegen ein Schutzgesetz.
Wesentliche Fehler bei der Berichterstattung und Pflicht zur Fehlerkorrektur
Die European Sustainability Reporting Standards („ESRS“), auf deren Basis der Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen ist, enthalten im ESRS 1 u.a. Regeln zum Umgang mit wesentlichen Fehlern in der (vergangenen) Berichterstattung (ESRS 1, 7.5 Abs. 96 ff.). Danach liegt ein „Fehler“ (Auslassung oder Falschangabe) vor, wenn „zuverlässige Informationen“ falsch angegeben oder nicht genutzt wurden,
- die zu dem Zeitpunkt, zu dem der Veröffentlichung des Lageberichts mitsamt der Nachhaltigkeitserklärung zugestimmt wurde, verfügbar waren, und
- von denen vernünftigerweise hätte erwartet werden können, dass sie bei der der Erstellung des Berichts berücksichtigt werden.
Weiterhin nennt der ESRS beispielhaft („Zu diesen Fehlern gehören“) die Auswirkungen mathematischer Fehler, Fehler bei der Anwendung der Definitionen für Parameter oder Ziele, das Übersehen oder die Fehlinterpretation von Tatsachen, sowie Betrug.
Werden Fehler dieser Art in der vergangenen Nachhaltigkeitsberichterstattung erkennbar, sind diese Fehler in der aktuellen Berichterstattung zu berichtigen, indem die „Vergleichsbeiträge“ für die in Rede stehenden Berichterstattungszeiträume anzugeben sind. Ist dies nicht durchführbar, hat das Unternehmen die Vergleichsinformationen neu anzugeben, um den Fehler ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu berichtigen, wobei diese Anforderung sowohl für die Korrektur rückblickender als auch vorausschauender Angaben gelten soll.
Mit anderen Worten: Verantworten Organmitglieder heute Angaben oder Auslassungen im Nachhaltigkeitsbericht, die bei Heranziehung „zuverlässiger Informationen“ anders hätten berichtet oder ergänzt werden müssen, ist dies in späteren Berichten offenzulegen und zu korrigieren. Sehen die dann zuständigen Organe von einer Korrektur ab, setzen sie sich selbst dem Risiko einer Haftung nach den o.g. Vorschriften aus.
Ungeschriebene Anforderungen an die Strafbarkeit/Haftung
Das Strafbarkeits- und Haftungsrisiko klingt zunächst dramatisch, ist allerdings in folgenden Punkten zu relativieren:
- Nicht jede unrichtige oder verschleiernde Wiedergabe der „Verhältnisse der Gesellschaft oder des Konzerns“ im Nachhaltigkeitsbericht (bzw. „unrichtige Versicherung“) führt zur Strafbarkeit und Schadensersatzpflicht. Für den Verstoß gegen Bilanzierungspflichten gilt bisher, dass nur erhebliche Verstöße eine Strafbarkeit begründen. Die Bilanzierung muss schlechthin unvertretbar sein (BVerfG, Urt. v. 15.08.2006 – 2 BvR 822/06, NJW-RR 2006, 1627; KG, Urt. v. 11.02.2010 – 2 AR 67/03, 1 Ws 212/08, ZIP 2010, 1447). Das wird man auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung übertragen können und müssen.
- Bisher gilt als Faustformel für Falschangaben im Jahresabschluss: Tatsachenangaben sind unrichtig, wenn der Aussagegehalt nicht mit dem Aussagegegenstand übereinstimmt. Bewertungen, Schätzungen und Prognosen sind (nur) unrichtig, wenn sie auf tatsächlichen Grundlagen beruhen, die objektiv unrichtig sind, oder wenn die aus ihnen gezogenen tatsächlichen oder rechtlichen Schlussfolgerungen objektiv unrichtig sind. Um eine unangemessene Ausweitung der Strafbarkeit zu verhindern, soll der Rechtsprechung zufolge der Tatbestand nur erfüllt sein, wenn die Angaben evident unrichtig Dies ist der Fall, wenn nach einem einheitlichen Konsens der einschlägigen Fachleute die vorgelegte Schlussfolgerung oder Beurteilung unvertretbar ist. Für die (neue) Nachhaltigkeitsberichterstattung wird man allerdings zu berücksichtigen haben, dass die ESRS hohe Anforderungen an die bei der Berichterstattung herangezogenen Informationen stellen.
- Strafbarkeit setzt Vorsatz voraus. Der Täter muss die Falschdarstellung danach jedenfalls für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.
Kritische Punkte
Eine Kategorisierung der Fälle, die eine Strafbarkeit und Haftung begründen werden, kann man heute kaum vornehmen. Doch können die folgenden Beispiele eine Orientierung geben:
- Ziele und/oder (Transformations-)Pläne auf nicht tragfähiger Informationsgrundlage: Das Unternehmen hat auf Grundlage zuverlässiger Informationen Ziele und Transformationspläne zu entwickeln und darüber zu berichten. Der Nachhaltigkeitsbericht ist nicht der Ort, um der Belegschaft unternehmenspolitische Ziele und Pläne vorzugeben, die nicht auf zuverlässigen Informationen beruhen.
- Transformationsrisiken: Über transformationskritische Vermögenswerte und Geschäftstätigkeiten des Unternehmens nicht zu berichten, wenn Risiken sich in absehbarer Zeit realisieren, birgt ein hohes Strafbarkeits- und Haftungsrisiko, jedenfalls wenn sie einen erheblichen Anteil der Unternehmenswertschöpfung ausmachen.
- IST-Daten (Metriken): Soweit über (Scope 1-3)-Daten berichtet wird, sollten diese belastbar ermittelt worden sein.
- Sorgfaltspflichten (Due Diligence): Besondere Aufmerksamkeit verdient die Berichterstattung über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten. Die ESRS verleiten zT dazu, vorschnell über die Einhaltung von Sorgfaltspflichten zu berichten, die nicht bestehen, und Sorgfaltspflichten zu übersehen, die bestehen.
Schadensersatz
Der Umfang und die Berechnung des Schadensersatzes bemessen sich nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 249 ff. BGB), wobei das Unternehmen neben seinen Organen bzw. vertretungsberechtigten Gesellschaftern als Gesamtschuldner haftet (§ 840 Abs. 1 BGB).
Da die §§ 331 f. HGB Ref-E das Vertrauen der aktuellen und potenziellen Anleger des Unternehmens auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Lageberichts-Informationen schützt, muss der Anspruchsteller nachweisen, dass er im Vertrauen auf die (unrichtigen) Berichte einen Vermögensschaden erlitten hat. Ein solcher Vermögensschaden kann sich daraus ergeben, dass er auf Grundlage einer unzutreffenden Annahme des Wertes des Unternehmens investiert oder nicht desinvestiert hat.