Kernenergie und Erdgas sollen nachhaltig werden
Über den Jahreswechsel hat die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Erweiterung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139(KlimataxonomieVO) vorgelegt. Wie bereits seit mehreren Wochen vermutet, sollen sowohl Atomkraftwerke als auch (moderne) Gaskraftwerke in die Klimataxonomie aufgenommen werden. Dieser Entscheidung ist eine ausführliche Diskussion vorangegangen, die nunmehr vorläufig ihren Abschluss findet.
Nachhaltigkeit von Atom und Gas wird an detaillierte Voraussetzungen geknüpft
Neue Atomkraftwerke sollen als nachhaltig gelten, wenn sie u.a. vor 2045 genehmigt werden und hohe (best-available) Sicherheitsanforderungen einhalten. Ebenso kann die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke als nachhaltig angesehen werden. In beiden Fällen soll die Vereinbarkeit mit den weiteren Umweltzielen u.a. durch Managementpläne für den nuklearen Abfall, die Einhaltung der best availble techniques (BAT)-Vorgaben und die allgemeinen gesetzlichen Anforderungen erreicht werden.
Gaskraftwerke sollen nicht nur – wie von der Technical Expert Group (TEG) vorgeschlagen – bei – gegenwärtig kaum zu erreichenden – Lebenszyklus-THG-Emissionen von unter 100 g CO2-Äq je kWh als nachhaltig gelten. Vielmehr sollen Gaskraftwerke, die vor dem
31. Dezember 2030 genehmigt werden, auch als nachhaltig anzusehen sein, wenn ihre THG-Emissionen unter 270 g CO2-Äq je kWh liegen. Allerdings müssen sie dazu bestimmte Voraussetzungen erfüllen, u.a. müssen durch die neuen Gaskraftwerke bestehende Kohle- oder Gaskraftwerke ersetzt, im Vergleich wesentliche Reduzierung der THG-Emissionen erreichen und zunächst anteilig und bis 2035 vollständig auf eine erneuerbare oder CO2-arme Gase umgestellt werden.
Einordnung als Übergangstätigkeiten ist kontrovers
Beide Tätigkeiten werden als Übergangstätigkeiten nach Art. 10 Abs. 2 der TaxonomieVO eingeordnet. Im Zusammenhang mit der Kernenergie, die eigentlich bereits als CO2-arm gilt, könnte sich die Frage stellen, ob auch solche CO2-armen Techniken überhaupt als Übergangstätigkeiten eingeordnet werden können. Hier scheint der politische Kompromiss durch, der dieser Ergänzung erkennbar zugrunde liegt. Der Hauptkritikpunkt wird indes darin liegen, dass die Vereinbarkeit mit den DNSH-Kriterien gerade im Hinblick auf die Ziele des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft und der Verringerung von Umweltverschmutzungen in Frage gestellt werden kann. Die EU-Kommission ist aufgrund einer Untersuchung des Joint Research Centre (JRC), die von weiteren Wissenschaftsgremien überprüft worden ist, nunmehr zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Vereinbarkeit bejaht werden kann, wenn die bestehenden Möglichkeiten genutzt und gesetzlichen Vorgaben beachtet werden.
Bei der Einbeziehung der Gaskraftwerke könnte die Frage gestellt werden, inwieweit diese als Übergangstätigkeit angesehen werden kann. Voraussetzung für eine Einordnung als Übergangstechnik nach Art. 10 Abs. 2 TaxonomieVO ist eigentlich, dass keine alternativen CO2-arme Techniken zur Verfügung stehen. Mit der erneuerbaren Energieerzeugung (z.B. Photovoltaik und Windkraft) stehen jedenfalls grundsätzlich solche Alternativen zur Verfügung. Die EU-Kommission stellt sich insofern auf den Standpunkt, dass die Erneuerbaren Energien noch nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind (Erwägungsgrund 4 des Entwurfs). Sie versteht Art. 10 Abs. 2 TaxonomieVO offenbar so, dass es nicht nur grundsätzliche, sondern auch konkrete Alternativen geben muss. Dieses Verständnis soll dadurch abgesichert werden, dass Gaskraftwerke nur nachhaltig sind, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Bedarf nicht durch Erneuerbare Energie gedeckt werden kann.
Politisch dürfte der Vorschlag nicht aufzuhalten sein
Die Sachverständigen der Mitgliedsstaaten für nachhaltiges Finanzwesen nach Art. 24 TaxonomieVO und die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen nach Art. 20 TaxonomieVO können zu diesem Vorschlag noch bis zum 12. Januar 2022 Stellung nehmen. Die Kommission plant dann auf dieser Grundlage die Ergänzung zur KlimataxonomieVO noch im Januar 2022 zu veröffentlichen; vermutlich wird es allenfalls zu geringfügigen Änderungen kommen. Gegen diese Ergänzung können das Europäische Parlament und der Europäische Rat innerhalb von 4 bzw. 6 Monaten ein Veto einlegen. Es haben bereits einige Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland und Österreich, ihre Unzufriedenheit mit diesem Vorschlag verkündet. Zweifelhaft ist allerdings, ob dieses für ein Veto ausreichend ist. Für ein Veto des Rats wäre eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedsstaaten, die 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, und für ein Veto des Europäisches Parlaments eine einfache Mehrheit erforderlich. Beides ist dem Vernehmen nach nicht ersichtlich. Abzuwarten bleibt, ob sich ein Mitgliedstaat – wie von Österreich jedenfalls per Twitter angekündigt – entschließt, eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 1, 2 AEUV gegen diese Ergänzung zu erheben.
Kommt jetzt die Zweiteilung in „Art. 8/9-Produkt mit Kernenergie/Gas“ vs. „Art. 8/9-Produkt ohne Kernenergie/Gas“?
Die geplanten Änderungen beinhalten auch eine differenzierte Offenlegung gem. Art. 8 TaxonomieVO: Danach müssen berichtspflichtige Unternehmen in ihren KPI nunmehr ausweisen, inwieweit ihre Taxonomiequote die o.g. Übergangstätigkeiten beinhaltet. Als durchaus konsequent erschiene es, wenn diese Unterscheidung auch auf Ebene der Finanzprodukte, sprich: in den Produktangaben nach Art. 8 und 9 SFDR und den periodischen Berichten nach Art. 11 SFDR nachvollzogen würde. Es darf deshalb mit Spannung erwartet werden, ob die EU-Kommission in dem für Q 1 2020 angekündigten Single Rulebook auf Level 2 der SFDR entsprechende Vorgaben machen wird.