Insolvenzantragspflicht ausgesetzt

Um von der Corona-Krise betroffene Unternehmen am Leben zu halten, werden für einen Zeitraum von drei Monaten die Insolvenzantragspflicht sowie einzelne Haftungs- und Anfechtungstatbestände ausgesetzt.
Dr. Sophia Schwemmer,
Dr. Nina Scherber
Wednesday April 1st, 2020

Die mit der Corona-Krise verbundenen Umsatzeinbrüche und Liquiditätsengpässe werden bei einer Vielzahl von Unternehmen zu einer vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit führen. Um diesen Unternehmen ohne Insolvenzverfahren durch die Krise zu helfen, haben Bundestag und Bundesrat vergangene Woche das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ (COVInsAG) beschlossen. Das Gesetz tritt rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft. Es setzt nicht nur die Antragspflichten, sondern auch Haftungs- und einzelne Anfechtungstatbestände bis zum 30. September 2020 aus, es sei denn, die Insolvenz beruht nicht auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie oder es besteht keine Aussicht auf die Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit. Für den Fall, dass die derzeitige Situation andauert, hat der Gesetzgeber bereits eine Verlängerungsmöglichkeit durch Rechtsverordnung bis zum 31. März 2021 vorgesehen.

Die Regelungen im Einzelnen:

1. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Geschäftsführer einer GmbH und Vorstände einer AG trifft normalerweise die Pflicht, innerhalb von drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn ihr Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Kommen die Geschäftsleiter ihrer Insolvenzantragspflicht nicht nach, setzen sie sich persönlichen Haftungsrisiken aus und können sich sogar strafbar machen.

Von diesem strengen Insolvenzantragsregime befreit der Gesetzgeber nun Geschäftsleiter von Unternehmen, die infolge der Corona-Krise in Bedrängnis geraten sind. Durch das COVInsAG wird die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, sofern die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (Covid-19-Pandemie) beruht und wenn Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Um den Unternehmen den schwierigen Nachweis der Kausalität der Pandemie für die Insolvenzreife und die Prognose über die Aussichten des Unternehmens in der aktuell unsicheren Lage zu ersparen, führt der Gesetzgeber ferner eine Vermutungsregelung ein. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. An die Widerlegung der Vermutung sollen „höchste Anforderungen“ zu stellen sein.

Schließlich können für einen Zeitraum von drei Monaten Unternehmen, die am 1. März 2020 noch nicht insolvent waren, auch nicht durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden.

2. Ausnahmen von gesetzlichen Zahlungsverboten und Anfechtungstatbeständen

Während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollen die Geschäftsleiter den ordentlichen Geschäftsbetrieb aufrechterhalten und auch Sanierungsmaßnahmen ergreifen dürfen. Zu diesem Zweck werden bestimmte Haftungs- und Anfechtungstatbestände ausgesetzt.

Zum einen enthält das COVInsAG einen gesetzlichen Ausnahmefall von der Haftung der Geschäftsleiter wegen Masseschmälerungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Absatz 2 Satz 1 AktG, § 130a Absatz 1 Satz 1, § 177a Satz 1 HGB, § 99 Satz 1 GenG, § 42 Absatz 2 des BGB). Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gelten danach als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

Ferner werden bestimmte im Aussetzungszeitraum vorgenommene Rechtshandlungen anfechtungsrechtlich privilegiert. Für Gläubiger und Vertragspartner des von der Krise bedrohten Unternehmens (z.B. Vermieter, Leasinggeber oder Lieferanten) besteht bei eingetretener Insolvenzreife das Risiko, während der Krise erhaltene Leistungen und Zahlungen in einem späteren Insolvenzverfahren infolge einer Insolvenzanfechtung wieder herausgeben zu müssen. Durch die Aussetzung der Insolvenzanfechtung soll verhindert werden, dass diese Vertragspartner des Unternehmens bestehende Geschäftsbeziehungen beenden. Eine Anfechtung kann nur dann noch erfolgen, wenn dem anderen Teil positiv bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet gewesen sind. Dies muss derjenige beweisen, der sich auf die Anfechtbarkeit beruft.

3. Erleichterungen für die Vergabe von Sanierungskrediten

Der Gesetzgeber versucht ferner Anreize für die Vergabe von Sanierungskrediten an die betroffenen Unternehmen zu setzen. Für die Kreditgeber bestehen hier nämlich im Allgemeinen erhebliche Anfechtungs- und Haftungsrisiken.

So dürfen Banken nach der Rechtsprechung des BGH Sanierungskredite grundsätzlich nur auf der Grundlage eines substanzhaltigen und von einem objektiven Dritten überprüften Sanierungskonzepts ausreichen. Anderenfalls laufen sie Gefahr, dass ihr Neukredit als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen wird mit der Folge einer Haftung des Kreditgebers gemäß § 826 BGB. In der derzeitigen Situation dürfte die Erstellung derartiger Sanierungskonzepte jedoch wenig sinnvoll sein, da verlässliche Prognosen kaum zu treffen sind. Daher regelt das COVInsAG, dass während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gewährte Kredite nicht zur Haftung nach § 826 BGB führen können.

Ferner werden solche „neuen“ Kredite sowie Gesellschafterdarlehen anfechtungsrechtlich privilegiert. Auch der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wird für solche „neuen“ Kredite vorübergehend bis zum 30. September 2020 abgeschafft.

 

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