Sein oder Schein bei der Nachhaltigkeit

Muss ein nachhaltiges Finanzprodukt die Nachhaltigkeit fördern oder reicht es, wenn es mit einem Beitrag wirbt? Die Europäischen Aufsichtsbehörden hätten da mal ein paar Fragen.
Dr. Nils Christian Ipsen
Dienstag, der 2. Februar 2021

Nachhaltige Finanzprodukte werden häufig verdächtigt, greenwashing zu betreiben und ihren Beitrag zum Klimaschutz oder zu einer gerechten Welt nur zu behaupten. Die neue Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) sieht deswegen weitreichende Transparenzpflichten vor. Der Großteil dieser Pflichten soll ab dem 10. März 2021 gelten. Ihre Konkretisierung mittels Regulatorischer Technischer Standards (RTS) verschiebt sich indes. Die verantwortlichen Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) sahen nach der Konsultation des ersten Entwurfs anscheinend noch größeren Bearbeitungsbedarf. Nicht nur in Detailfragen scheinen Unsicherheiten zu bestehen, sondern auch bei zentralen Weichenstellungen. Deswegen sahen sich die ESA zu dem bemerkenswerten Schritt genötigt, selbst bei der EU-Kommission um einige Klarstellungen zu bitten.

„Fördern“ oder „Werben“, wieso ist das überhaupt eine Frage?

Die SFDR führt eine Kategorisierung für nachhaltige Finanzprodukte ein, an die sich bestimmte Transparenzpflichten knüpfen. Finanzprodukte, die den Voraussetzungen des Art. 8 SFDR genügen, müssen darüber berichten, wie sie Nachhaltigkeitsmerkmale erfüllen. Unsicherheit besteht nunmehr, wie diese Voraussetzungen des Art. 8 SFDR überhaupt zu verstehen sind. Das Problem lässt sich anhand der unterschiedlichen Sprachfassungen erläutern.

Nach der englischen Fassung sollen die Transparenzregeln in den folgenden Fällen anwendbar sein: „Where a financial product promotes (…) environmental or social characteristics…“. Auch die französische Fassung nutzt das Verb „promouvoir“ zur Beschreibung des betroffenen Finanzprodukts. Dieser Begriff wurde – entsprechend der üblichen Übersetzung in EU-Rechtstexten – bisher in der Praxis überwiegend so verstanden, dass die Finanzprodukte ökologische oder soziale Merkmale fördern müssen. Demnach fielen nur Finanzprodukte unter Art. 8 SFDR, die einen gewissen – wie auch immer zu bestimmenden – positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Dementsprechend war von light green-products die Rede.

In der deutschen Fassung heißt es hingegen: „Werden mit einem Finanzprodukt (…) ökologische und soziale Merkmale (…) beworben.“ Man fragt sich zunächst, wie (und wieso) ein Finanzprodukt ökologische und soziale Merkmale bewerben sollte. Verständlicher wäre es, eine grammatikalische Ungenauigkeit anzunehmen und den Satz andersherum zu verstehen: Finanzprodukte, die mit ökologischen und sozialen Merkmalen beworben werden. In diesem Fall würden die erweiterten Transparenzpflichten auch für Finanzprodukte gelten, die objektiv gar keine ökologischen und sozialen Merkmale fördern, sondern dies nur zur besseren Vermarktung behaupten. Also genau für die Produkte, denen greenwashing vorgeworfen wird.

Auf den Zusammenhang kommt es an

Problematisch wird dieses weite Verständnis des Art. 8 SFDR jedoch in Verbindung mit dem geplanten „Zuckerbrot“ für nachhaltige Finanzprodukte. Das Anlegen in nachhaltige Finanzprodukte soll gefördert werden. Bei Anlegern sollen deswegen künftig Nachhaltigkeitspräferenzen abgefragt und ggf. entsprechende Produkte empfohlen werden. Dieses Zuckerbrot für den Vertrieb sah die Praxis als Ausgleich für die „Peitsche“ der Transparenzpflichten. Folgerichtig wurde angenommen, dass Art. 8-Produkte auch in den Genuss der Empfehlungen für nachhaltige Produkte gelangen würden. Das stünde jedoch im Widerspruch zum weiten Verständnis des Art. 8 SFDR, bei dem auch greenwashing-Produkte umfasst wären.

Allerdings hat die EU-Kommission mit ihrem letzten Entwurf zur Bestimmung der Nachhaltigkeitspräferenzen im Juni 2020  sowieso das beschriebene Praxisverständnis gerade in Frage gestellt. Art. 8-Produkte sollen nicht ohne Weiteres Anlegern mit Nachhaltigkeitspräferenzen empfohlen werden können. Vielmehr müssen sie dafür zusätzliche Voraussetzungen erfüllen. Es wird also ein Art. 8* -Produkt gefordert. Anscheinend ist die EU-Kommission der Auffassung, dass es mit der Nachhaltigkeit von bloßen Art. 8-Produkten nicht so weit her ist.

Klärung ist dringend erforderlich

Es erscheint reichlich spät für die Beantwortung der Grundsatzfrage, ab wann von einer Promotion auszugehen ist. Konkret fragen die ESA, ob für eine Promotion bereits die Verwendung von Wörtern wie „nachhaltig“ oder „ESG“ ausreicht, ob dafür Nachhaltigkeitsfaktoren und/oder Nachhaltigkeitsrisiken bei den Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden müssen oder ob dafür ein Mindestanteil an Investitionen in die beworbenen Nachhaltigkeitsmerkmalen erforderlich ist. Sie wollen also bestimmen, wo die Grenze zwischen Vermarktung und tatsächlichem Beitrag zu ziehen ist.

Die ESA gehen sogar noch einen Schritt weiter und fragen, ob ein Produkt sogar ohne ein aktives Werben unter Art. 8 SFDR fallen kann, wenn es – wie im Markt durchaus üblich – bestimmte Investitionen (z.B. in Tabak) ausschließt bzw. bei den Investitionen den rechtlichen Verpflichtungen (z.B. Verbot von Investitionen in Clusterwaffen) folgt. Würden auch diese Fragen bejaht – z.B. um Diskussionen über die Fragen zu vermeiden, ab wann ein aktives Werben vorliegt –, würde der Anwendungsbereich des Art. 8 SFDR zusätzlich ausgeweitet.

Fazit

Sechs Wochen vor ihrer Anwendbarkeit sollte schnellstmöglich geklärt werden, wer wozu verpflichtet ist. Die unmittelbare Anfrage bei der EU-Kommission vermeidet Unsicherheiten, da offenbar die Regelungen sehr unterschiedlich zu verstehen sind. Eigentlich sollte die EU-Kommission diese Frage kurzfristig beantworten können. Dass sie selbst jedoch gerade Auslegungsfragen zur TaxonomieVO an die Platform for Sustainable Finance gerichtet hat, weckt leise Zweifel.

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