Nur Bares ist Wahres? Zum Projekt „Digitaler Euro“ der EZB

Die EZB prüft derzeit die Notwendigkeit einer europäischen digitalen Zentralbankwährung, dem „digitalen Euro“. Zentrale Aspekte zur möglichen Funktionsweise, technischen Ausgestaltung und Zugänglichkeit des digitalen Euro sind bereits bekannt. Mit Spannung wird nun der noch für das zweite Quartal 2023 angekündigte Verordnungsentwurf der EU-Kommission mit Rahmenbedingungen für die Einführung einer elektronischen Zentralbankwährung erwartet. Zum digitalen Euro stellt sich neben dem „Wann“ und dem „Wie“ insbesondere auch immer wieder die Frage nach dem „Warum“.
Dr. Anne-Sophie Landwers
Dienstag, der 13. Juni 2023

Das Projekt „Digitaler Euro“ der EZB

Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt mit ihrem Projekt „Digitaler Euro“ das Ziel, ein elektronisches Pendant zum Bargeld zu schaffen. Ziel ist eine digitale Form von Zentralbankgeld, das von der EZB ausgegeben wird und damit eine risikofreie, EU-weit verfügbare, einfach einsetzbare und effiziente, digitale Zahlungsmöglichkeit für die Unionsbürger*innen bietet.

Dass die EU die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung in Betracht zieht, ergab sich bereits aus einem Bericht der EZB aus Oktober 2020. Im Jahr 2021 hat sich die EZB dazu entschieden, das Projekt „Digitaler Euro“ zu starten. In einer seit Oktober 2021 andauernden, zweijährigen Untersuchungsphase lotet sie nun das Für und Wider sowie mögliche funktionale Ausgestaltungen und Rahmenbedingungen des digitalen Euro aus. Aus den mittlerweile drei Berichten der EZB zur Untersuchungsphase (September 2022, Dezember 2022, April 2023) lassen sich bereits zahlreiche Informationen dazu entnehmen, warum es einen digitalen Euro überhaupt geben sollte, wie er aussehen könnte und welche Herausforderungen sich ihm stellen.

Erhalt von Zentralbankgeld als „Anker“ des europäischen Geldsystems

Die EZB sieht den digitalen Euro zunächst als Instrument für den Erhalt von Zentralbankgeld als stabilisierenden „Anker“ des europäischen Geldsystems. Mit der rasch fortschreitenden Digitalisierung würden elektronische Zahlungsmethoden immer wichtiger. Die Nutzung von Bargeld gehe in der gesamten EU stark zurück. Die Corona-Pandemie habe dieses Phänomen durch den Anstieg des Online-Handels und der kontaktlosen Bezahlmöglichkeiten an der Ladenkasse nochmal verstärkt. Gleichzeitig hätten die Menschen in der EU ein Recht darauf, stets über die Option zu verfügen mit Zentralbankgeld zu bezahlen. Die Rückgriffsmöglichkeit auf eine Zentralbankwährung sei elementar für das Vertrauen der europäischen Bevölkerung in das Geldsystem der EU. Denn dieses sei, anders als Giral- oder auch Buchgeld, risikofrei und für jedermann EU-weit einsetzbar. Digitale Zahlungsmöglichkeiten dürften daher nicht ausschließlich von privaten Anbietern (Banken und Zahlungsdienstleistern) angeboten werden, sondern es bedürfe eines elektronischen Pendants zum Bargeld: dem digitalen Euro.

Erhalt der Stabilität und Autonomie des europäischen Wirtschafts- und Finanzsystems

Hinzukomme, dass die große Mehrheit der elektronischen Bezahlmöglichkeiten von Unternehmen angeboten würden, die ihren Hauptsitz außerhalb Europas hätten. Tatsächlich wird der Zahlungsverkehrsmarkt bislang von großen außereuropäischen Zahlungskartenanbietern, E-Geld-Instituten und BigTechs dominiert. Würde also – wovon auszugehen sei – die Bargeldnutzung weiter zurückgehen und die EU-Bürger*innen verstärkt auf digitale Zahlungsmittel zurückgreifen, wäre das europäische Zahlungssystem (zumindest teilweise) von Akteuren außerhalb der EU abhängig. Eine fehlende Autonomie des europäischen Zahlungssystems könnte bei geopolitischen Spannungen und Unsicherheiten zu großen Problemen führen. Würden z.B. Sanktionen gegen die EU verhangen, stünden diese Zahlungsmittel den EU-Bürger*innen nicht mehr zur Verfügung und die europäische Wirtschaft würde mangels eigener digitaler Bezahlmöglichkeiten erheblich beeinträchtigt.

Motor für Innovation und Effizienz des europäischen Zahlungsverkehrs

Gleichzeitig verspricht die EZB sich, dass der digitale Euro die technologische Basis für mehr Innovation und Effizienz im europäischen Zahlungsverkehrssektor bilden könnte. Hierdurch würde eine EU-weit einheitliche Infrastruktur für digitale Zahlungen geschaffen, auf deren Grundlage europäische Unternehmen innovativ tätig werden könnten. 

Der internationale CBDC-Trend: Die EZB unter Zugzwang?

Gemutmaßt wird schließlich auch, ob die EZB einen digitalen Euro nicht auch wegen des internationalen Trends zu Central Bank Digital Currencies (CBDC) durch Zentralbanken anderer Staaten in Betracht zieht. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat 2021 in einer Studie 81 Zentralbanken über die Einführung von CBDCs befragt. 90% der befragten Zentralbanken untersuchen, planen oder nutzen bereits eine digitale Zentralbankwährung. Insbesondere China sticht mit der raschen Einführung des e-CNY hervor, der bereits im Einsatz ist und tatkräftig weiterentwickelt wird. Ein weiterer Grund für die Schaffung eines elektronischen Pendants zum Euro könnte daher auch im internationalen Wettbewerb von Zentralbanken um CBDCs liegen.

Die Frage der Zuständigkeit für die Einführung und Ausgabe eines digitalen Euro

Neben den Gründen für eine digitale Zentralbankwährung lässt sich auch hinterfragen, ob bzw. auf welcher rechtlichen Grundlage die EU überhaupt über die Kompetenz verfügt, ein neues (digitales) gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen. Grundsätzlich liegt die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, bei der Union (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Die konkrete Kompetenzverteilung, also insbesondere welche konkreten Zuständigkeiten bei welcher EU-Institution liegen, ist den europäischen Verträgen – jedenfalls auf den ersten Blick – allerdings nicht ganz eindeutig zu entnehmen. Darüber hinaus wird teilweise diskutiert, ob das europäische Primärrecht nicht per se der Einführung eines neuen, digitalen gesetzlichen Zahlungsmittels entgegensteht. So nennt Art. 128 Abs. 1 und 2 AEUV als gesetzliche Zahlungsmittel ausschließlich Euro-Banknoten und Münzen. Hier drängt sich die Frage auf, ob diese Vorschrift eine Art Sperrwirkung entfaltet, so dass die Einführung eines neuen gesetzlichen Zahlungsmittels mit dem EU-Primärrecht gegenwärtig unvereinbar ist und zunächst eine Anpassung der Europäischen Verträge voraussetzen würde. EZB und EU-Kommission gehen hiervon aber offensichtlich nicht aus. Sie bejahen die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht und eine Zuständigkeit des Eurosystems für die Ausgabe eines digitalen Euro mit dem Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels.

Notwendig sei der Erlass eines neuen Sekundärrechtsakts, u.a. um die zentralen Aspekte des digitalen Euro festzulegen und ihm den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu verleihen. Als taugliche Rechtsgrundlage wird hierfür (überwiegend) Art. 133 AEUV angeführt. Hierauf stützt sich auch die EU-Kommission für ihren noch für das zweite Quartal 2023 angekündigten Legislativvorschlag (Konsultationsdokument aus April 2022). Der Wortlaut dieser Vorschrift ist allerdings alles andere als eindeutig: Gemäß Art. 133 kann der EU-Gesetzgeber Maßnahmen erlassen, „die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlich sind“. Das Kriterium der Erforderlichkeit schafft jedenfalls Raum für Diskussionen, wobei hier erneut die unterschiedlichen unions- und nationalrechtlichen Sichtweisen aufeinandertreffen dürften.

Die EZB hatte für ihre Zuständigkeit für die Ausgabe und Verwaltung des digitalen Euro als taugliche Rechtsgrundlagen sowohl Art. 128 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 16 EZB-Satzung, als auch – abhängig von der konkreten Gestaltungsform – Art. 127 Abs. 2 AEUV i.V.m. Art. 17, 20 oder 22 EZB-Satzung angeführt (EZB, Report on a digital Euro, Oktober 2020). Auch dies dürfte indes eine vertiefte Prüfung voraussetzen. Dass Art. 128 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 16 EZB-Satzung, der ausschließlich zur Ausgabe von „Euro-Banknoten“ berechtigt, auch digitale Geldformen erfasst, erfordert jedenfalls gesteigerten Begründungsaufwand. Auch die Subsumtion der Zuständigkeit der EZB zur Ausgabe und Ausgestaltung einer digitalen Zentralbankwährung, wie sie aktuell vorgesehen ist, unter den sehr allgemein gefassten Aufgabenkatalog in Art. 127 Abs. 2 AEUV, erscheint jedenfalls auf den ersten Blick nicht unbestreitbar.

Einige Aspekte der technischen und funktionalen Ausgestaltung sind bereits geklärt

Die technische und funktionale Ausgestaltung des digitalen Euro ist bislang nicht in allen Einzelheiten geklärt. Der jüngste Bericht der EZB (Dritter Bericht zur Untersuchungsphase im Projekt „Digitaler Euro“) bietet aber gewisse Anhaltspunkte, wie dieser aussehen könnte: Bürger*innen sollen den digitalen Euro auf einem speziellen digitalen-Euro-Konto bei einem PSD2-regulierten Zahlungsdienstleister, Kreditinstitut oder E-Geld-Institut (sog. Intermediäre) halten können, allerdings nur bis zu einer bestimmten Guthabenobergrenze, die den Zahlungsbedarf im Alltag abdeckt. So soll sichergestellt werden, dass der digitale Euro als Zahlungsmittel und nicht als besonders sichere Form der Geldanlage bei der EZB genutzt wird. Bei Überschreiten der Guthabenobergrenze würde der überschüssige Betrag auf ein hinterlegtes Konto überwiesen, also wieder in „privates Geld“ umgewandelt. Sämtliche Onboarding- und Offboarding-Prozesse einschließlich Identifizierungsverfahren und Kundenbetreuung müssten von den Intermediären durchgeführt werden. Ein „Retail-Geschäft“ der EZB selbst ist demgegenüber ausgeschlossen. Der digitale Euro soll zudem sowohl online als auch offline, über bestehende Banking-Apps der Intermediäre und über eine eigenständige Digitaler-Euro-App, u.a. mittels kontaktloser Technologien sowie QR-Codes nutzbar sein. Welche Technologie dem digitalen Euro zugrunde liegen soll, steht bislang allerdings noch nicht fest.

Es stellen sich weiterhin viele Fragen und Herausforderungen

Obgleich die Untersuchungsphase weit fortgeschritten ist, begegnet der digitale Euro weiterhin zahlreichen Herausforderungen:

So soll der digitale Euro ein hohes Maß an Datenschutz zugunsten der EU-Bürger*innen gewährleisten. Eine vollständige Anonymität von Zahlungen mit dem digitalen Euro – auch bei solchen in kleinem Umfang – hat die EZB aber bislang ausgeschlossen. Denn dies würde eine Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unmöglich machen. Vielmehr sei der hohe Schutz der Privatsphäre durch technische Ausgestaltungen sicherzustellen. Welche dies sind, ist indes noch nicht abschließend geklärt.

Große Skepsis ließ ferner die Bankenbranche in Bezug auf die Guthabenobergrenze verlauten. Zwar würde die Einführung eines digitalen Euro grundsätzlich begrüßt. Allerdings müssten die Auswirkungen auf das bestehende Bank- und Finanzsystem gründlich untersucht werden. So befürchtet die Bankenbranche, dass im Falle einer systemischen Krise die Existenz eines digitalen Euro zu einer Art „Bank-Run“, also einem massiven Abzug von Bankeinlagen und Umwandlung in „besonders sicheres“ digitales Zentralbankgeld, führen könnte. Dies würde zu Liquiditätsengpässen bei den Geschäftsbanken und damit zu steigenden Kreditkosten bzw. einer Einschränkung der Kreditvergabe führen. Dies hätte negative Folgen für die EU-Wirtschaft insgesamt. Eine etwaige Guthabenobergrenze dürfe daher nicht zu hoch bemessen sein. Denn auch eine – von der EZB wohl zumindest angedachte – Guthabenobergrenze von 3000 EUR könnte im Falle eines „Bank-Runs“ kleine und mittlere Institute in bedeutende Liquiditätsengpässe bringen. 

Und was kommt jetzt?

Die Veröffentlichung eines Verordnungsentwurfs der EU-Kommission mit den Rahmenbedingungen für den digitalen Euro wurde für das zweite Quartal 2023 angekündigt. Dieser wird dann von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beraten.

Der EZB-Rat wird das Ergebnis seiner Untersuchungsphase im Herbst 2023 bewerten und auf dieser Grundlage entscheiden, ob die nächste Phase eingeleitet werden soll oder es zur Einstellung des Projekts kommt. Fällt die Entscheidung zugunsten der Einführung des digitalen Euro aus, schließt sich eine mindestens drei-jährige Test- bzw. Realisierungsphase an. In dieser Phase will die EZB die erforderlichen technischen Lösungen und Geschäftsvereinbarungen entwickeln und testen. Der digitale Euro wird in dieser Phase den EU-Bürger*innen allerdings noch nicht zur Nutzung zu Verfügung stehen. Frühestens dürfte damit im Jahr 2026 zu rechnen sein. Die Forderung aus der Privatwirtschaft nach einer zügigeren Entwicklung des digitalen Euro werden von der EU – frei nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben“ – unter Hinweis auf die Komplexität des Projekts zurückgewiesen.

Bis zu einer tatsächlichen Einführung des digitalen Euro wird man sich mithin noch gedulden müssen. Zunächst bleibt aber mit Spannung abzuwarten, wie der Legislativvorschlag der EU-Kommission aussehen und wie die Entscheidung der EZB im Herbst 2023 ausfallen wird.

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