„Hat mein Vertrag Corona?“: Ein Schnelltest für Verträge

Die Corona-Krise hat offensichtliche Auswirkungen auf die Durchführung zahlreicher Verträge. Welche rechtlichen Konsequenzen aus einem „Corona-Befall“ eines Vertrages folgen, ist zwar ohne Ansicht des konkreten Falles kaum zu sagen. Anhand weniger Kriterien können Unternehmen und Unternehmer ihre Verträge aber schnell zumindest danach vorsortieren, welche Verträge einem Fachmann vorgestellt werden sollten – ein „Corona-Schnelltest“ also.
Dr. Guido Waßmuth,
Dr. Alexander Frhr. von Rummel
Donnerstag, der 26. März 2020

Die Durchführung unzähliger Verträge ist von der Corona-Krise betroffen. Manche Verträge können nicht mehr durchgeführt werden, weil z.B. eine Lieferkette unterbrochen ist. Andere Verträge dürfen nicht mehr durchgeführt werden, weil es z.B. verboten ist, Konzerte oder Fußballspiele stattfinden zu lassen. Und an der Durchführung noch einmal anderer Verträge hat eine Vertragspartei kein Interesse mehr, weil es z.B. für den Kongressveranstalter keinen Sinn ergibt, an der Buchung eines Kongresshotels festzuhalten, wenn kein Teilnehmer mehr zu dem Kongress anreisen kann.

In der juristischen Einzelfallprüfung wird es darum gehen, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt die Corona-Auswirkungen relevant werden: Möglicherweise enthält der Vertrag einschlägige Regelungen; oder es wird eine Leistungspflicht aus dem Vertrag (vielleicht auch nur vorübergehend) unmöglich; oder es tritt eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ des Vertrags ein, weil sich Umstände, die die Parteien bei Vertragsschluss stillschweigend vorausgesetzt haben, infolge der Corona-Krise gravierend verändert haben. All das hilft aber ohne Ansicht des konkreten Einzelfalls nicht wirklich weiter. Denn generelle Antworten sind kaum möglich – zu individuell sind die Verträge und zu vielgestaltig die Einzelfälle.

In einem allerersten Schritt geht es für jedes Unternehmen, jede Person daher darum, ihre Verträge nach ihrem Prüfungsbedarf zu sortieren. Welcher Vertrag sollte genauer auf seinen Corona-Befall untersucht werden? Für eine solche „Clusterung“ können generelle Abhängigkeiten und Maßstäbe entwickelt werden. Das führt dann immer noch nicht zu einer endgültigen Diagnose im Sinne einer handfesten rechtlichen Antwort, lässt aber zumindest eine Aussage darüber zu, wie wahrscheinlich es ist, dass die Corona-Krise Einfluss auf die Leistungspflichten eines Vertrages hat.

Einflussfaktoren unabhängig von der rechtlichen Einordnung sind die Art und Intensität des Störfaktors und der Vertragsinhalt

Unabhängig von dem konkreten rechtlichen „Aufhänger“ lassen sich Einflussfaktoren identifizieren, die es wahrscheinlich machen, dass die Corona-Krise Einfluss auf den Vertrag hat. Diese Einflussfaktoren können in zwei Kategorien unterteilt werden, nämlich zum einen die Art und Intensität des „Störfaktors“ und zum anderen der genaue Vertragsinhalt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, wie intensiv die Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt ist.

Einflussfaktor “Art und Intensität des Störfaktors”

Bei der Art und Intensität des „Störfaktors“ geht es darum, ob der Vertrag nur durch mittelbare Auswirkungen der Corona-Krise betroffen ist oder ob die Corona-Krise als solche und die daraus resultierenden Gefahren unmittelbare Auswirkungen auf den Vertrag haben oder ob der Vertrag sogar durch ganz konkrete behördliche Anordnungen oder Verbote aus Anlass der Corona-Pandemie betroffen ist.

Einflussfaktor “Vertragsinhalt”

In Bezug auf den Vertragsinhalt ist maßgeblich, ob es in dem Vertrag spezielle einschlägige Regelungen gibt und was der genaue Inhalt der in Rede stehenden vertraglichen Leistungspflicht ist und wie sich der Störfaktor darauf auswirkt. Letztlich geht es darum, wie die (geschriebene oder ungeschriebene) vertragliche Risikoverteilung ausgestaltet ist.

Ermittlung der „Infektionswahrscheinlichkeit“

Anhand dieser beiden Einflussfaktoren lässt sich die Wahrscheinlichkeit abschätzen, dass ein Vertrag von der Corona-Krise beeinflusst ist. Denn je unmittelbarer und je „verdichteter“ der Störfaktor und je enger seine Beziehung zum Vertragsinhalt und zum Inhalt der Leistungspflicht ist, desto eher wird die Corona-Krise Einfluss haben und desto eher lassen sich aus ihr Rechte ableiten.

Der Einfluss dieser Faktoren für eine erste Einschätzung des Corona-Befalles lässt sich an Beispielen verdeutlichen:

a) Ein Unternehmen hat in einem Kongresshotel einen Veranstaltungsraum, 15 Einzelzimmer und ein Dinner für 15 Personen gebucht.

  • Art und Intensität des Störfaktors: Je unmittelbarer der Einfluss der Corona-Krise ist, desto eher können Rechte hergeleitet werden. Es macht einen Unterschied, ob sich die Corona-Krise unmittelbar dadurch auswirkt, dass dem Hotel die Beherbung und/oder die Durchführung von Veranstaltungen behördlich untersagt ist, oder nur (mittelbar) dadurch, dass Veranstaltungsteilnehmer von sich aus ihre Teilnahme an der Veranstaltung absagen. Und auch bei der freiwilligen Absage wird es u.U. anders zu beurteilen sein, wenn nur das Veranstaltungsthema angesichts der Corona-Krise nicht mehr interessant ist, als wenn (ohne behördliches Verbot) von Reisen wegen der Pandemie-Gefahr abgeraten wird.
  • Vertragsinhalt: Eine spezielle vertragliche Regelung für den Corona-Fall dürfte es bei Hotelbuchungen üblicherweise nicht geben. In Bezug auf den Vertragsinhalt wird es dann von Bedeutung sein, dass die Hotelbuchung im Beispielsfall ganz offensichtlich für die Durchführung einer 15-Personen-Veranstaltung erfolgte. Wenn die Durchführung von Veranstaltungen ab einer gewissen Größenordnung behördlich untersagt ist, Einzelpersonen aber weiterhin reisen dürfen, wird es einen Unterschied machen, ob der gemeinsame Vertragszweck die Veranstaltungsdurchführung war, oder ob einfach nur 15 einzelne Zimmer reserviert wurden.
  • Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt: Wenn ein intensiver Störfaktor auf einen entsprechenden Vertragsinhalt trifft, führt das zur Unmöglichkeit; so etwa, wenn die Durchführung einer 15-Personen-Veranstaltung vertraglich geschuldet ist, dies aber gegen ein behördliches Verbot verstoßen würde. Bei gleichem Vertragsinhalt und geringerer Intensität des Störfaktors wäre zwar keine Unmöglichkeit gegeben, wohl aber u.U. eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB); so etwa, wenn die vertraglich geschuldete 15-Personen-Veranstaltung zwar grundsätzlich erlaubt bleibt, aber nur unter deutlich erschwerten Bedingungen stattfinden könnte, beispielsweise wesentlich mehr Raum benötigt wird, weil die Teilnehmer Mindestabstände voneinander einhalten müssen.
  • Bei anderem Vertragsinhalt – z.B. Miete eines einzelnen Hotelzimmers – bedarf es eines darauf bezogenen intensiven Störfaktors, um Unmöglichkeit auszulösen, z.B. behördliche Untersagung des Hotelbetriebs generell (statt wie im vorigen Beispiel Untersagung von Veranstaltungen, die eine bestimmte Personenzahl übersteigen). Bei gleichem Vertragsinhalt und weniger intensivem Störfaktor – z.B.: der Hotelbetrieb bleibt grundsätzlich erlaubt, es wird aber wegen der Pandemiegefahr von touristischen Reisen dringend abgeraten – ließe sich hingegen zwar keine Unmöglichkeit, wohl aber ggf. eine Störung der Geschäftsgrundlage begründen. Bei noch weniger intensivem Störfaktor (z.B. dem Hotelaufenthalt steht weder ein behördliches Verbot noch eine behördliche Empfehlung entgegen, sondern es ist nur infolge mittelbarer Auswirkungen der Corona-Krise schlicht das Interesse auf Seiten des Hotelbetreibers oder des Gastes entfallen) liegt hingegen auch keine hinreichend gravierende Störung der Geschäftsgrundlage vor, so dass die Corona-Krise auf die Leistungspflichten des Vertrags keine Auswirkungen hat.

b) Ein Unternehmen mietet Gewerbeflächen an und betreibt in den Räumen ein Restaurant.

  • In Bezug auf die Art und Intensität des Störfaktors ist von Bedeutung, ob der Betrieb von Restaurants behördlich untersagt ist oder das Restaurant jedenfalls theoretisch, nur eben in schwierigerem wirtschaftlichem Umfeld weiter betrieben werden könnte.
  • Was den Vertragsinhalt anbelangt, wird es sich auswirken, ob der Restaurantbetreiber eine beliebige Gewerbefläche angemietet und dort sein Restaurant eingerichtet hat oder ob er beispielsweise einen Restaurantbetrieb möbliert gepachtet hat. Im ersten Fall erscheint es naheliegend, dass der Restaurantbetreiber das Betriebsrisiko trotz Corona-Krise trägt. Im zweiten Fall ist durchaus denkbar, dass auch der Verpächter einen Teil des Risikos zu tragen haben wird.
  • Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt: Selbst bei intensivem Störfaktor – behördliches Verbot des Restaurantbetriebs – wird häufig keine Unmöglichkeit und kein Mangel der Mietsache vorliegen, weil die vertragliche Leistungspflicht (Überlassung einer zum „vertragsgemäßen Gebrauch“ tauglichen Mietsache) jedenfalls regelmäßig nur darauf gerichtet sein dürfte, dass die überlassenen Räume an sich zum Betrieb eines Restaurants geeignet sind, hingegen nicht auf Abwesenheit eines behördlichen Verbotes des Restaurantbetriebes wie des hier in Rede stehenden. Hingegen ist eine Störung der Geschäftsgrundlage bei einem derart intensiven Störfaktor durchaus begründbar. Anders läge es bei einem weniger intensiven Störfaktor, beispielsweise wenn der Betrieb den überwiegenden Teil seines Geschäfts mit „to-go-Umsätzen“ macht und diese weiterhin erlaubt bleiben.

c) Zwei Unternehmen haben einen Vertrag über die Lieferung von Waren geschlossen.

  • In Bezug auf den Vertragsinhalt wird zu prüfen sein, ob der Vertrag – wie häufig – eine einschlägige Regelung wie etwa eine „Force-majeur-Klausel“ enthält und ob deren Voraussetzungen erfüllt zu sein scheinen. Falls der Vertrag keine entsprechende Bestimmung enthält, ist zu klären, was der genaue Inhalt der Leistungspflicht ist, ob sie trotz des Störfaktors noch (wenn auch ggf. mit erhöhtem Aufwand) erfüllt werden kann und wem letztlich (ggf. ungeschrieben) das vertragliche Risiko zugewiesen ist. Hat beispielsweise der Lieferant, dessen Lieferkette Corona-bedingt unterbrochen ist, das Risiko übernommen, sich anderweitig einzudecken? Oder ist Selbstbelieferung vorbehalten?
  • Wenn es keine für den speziellen Fall einschlägige Klausel gibt und sich der Störfaktor nicht oder nur schwach auf den Vertrag auswirkt, ist der Vertrag wahrscheinlich nicht in rechtlich relevanter Weise betroffen. Wenn sich hingegen der Störfaktor gravierend auswirkt, kann der Vertrag selbst dann betroffen sein, wenn es keine Klausel gibt und die Leistung theoretisch noch erfüllbar ist, es sei denn, die vertragliche Risikoverteilung spricht dagegen. Zum Beispiel befreit ein infolge der Corona-Krise allgemein gestiegener Aufwand bei der Leistungserbringung den Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht, ebenso wenig Lieferschwierigkeiten eines einzelnen Zulieferers – wohl aber u.U. der Ausfall sämtlicher Zulieferer aus einer Region (das richtet sich dann wieder nach der Beziehung des Störfaktors zur vertraglichen Risikoverteilung, hier zu der Reichweite des übernommenen Beschaffungsrisikos).
  • Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt: Angenommen, der Vertrag enthält keine Force-majeur-Klausel (sonst käme es auf deren konkreten Inhalt an und darauf, ob der Störfaktor die so geregelten Voraussetzungen erfüllt): Unmöglichkeit läge vor, wenn ein entsprechend intensiver Störfaktor auf einen dafür empfänglichen Vertragsinhalt trifft; beispielsweise wenn die vertragliche Lieferpflicht so auszulegen ist, dass der Lieferant seine Beschaffungspflicht auf einen bestimmten Bezugskanal beschränkt hat, der nun infolge der Corona-Krise unterbrochen ist. Bei weniger intensivem Störfaktor (der Bezugskanal ist nicht unterbrochen, aber die Preise sind erheblich gestiegen) könnte immer noch Unmöglichkeit vorliegen (dann in Form der sog. wirtschaftlichen Unmöglichkeit, § 275 Abs. 2 BGB) oder aber „nur“ eine Störung der Geschäftsgrundlage (wenn nicht nur die Preise für den Lieferanten gestiegen sind, sondern parallel dazu auch das Interesse des Gläubigers am Erhalt der Ware, z.B. bei medizinischen Atemmasken). Reicht die Intensität des Störfaktors auch dafür nicht aus, bleiben die vertraglichen Leistungspflichten von der Corona-Krise unberührt; Erschwernisse geringeren Grades verbleiben bei der davon betroffenen Vertragspartei.

Zusammenfassung: Der Corona-Schnelltest für Verträge

Die rechtliche Diagnose wird immer auf den Einzelfall eines konkreten Vertrags bezogen sein müssen. Generell lässt sich aber mit einem „Corona-Schnelltest“ ausmachen, die Einzelfallprüfung welcher Verträge besonders lohnt, weil eine große „Infektionswahrscheinlichkeit“ besteht. Dabei kommt es immer auf – erstens – den genauen Vertragsinhalt und – zweitens – die Art und Intensität des Störfaktors an. Je unmittelbarer der Störfaktor und je enger seine Beziehung zum Vertragsinhalt und zum Inhalt der Leistungspflicht ist, desto eher wird ein Vertrag rechtlich erheblichen Corona-Befall haben.

Das heißt:

  • Identifizieren Sie den genauen Störfaktor und beurteilen Sie seine Intensität.
  • Prüfen Sie den Vertragsinhalt; insbesondere: gibt es eine spezielle Regelung und was ist der genaue Inhalt der durch den Störfaktor tangierten Vertragspflicht?
  • Beurteilen Sie die Intensität der Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt.

Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass es eine handfeste Beziehung zwischen Störfaktor und Vertragsinhalt gibt, ist es wahrscheinlich, dass Ihr Vertrag durch die Corona-Krise beeinflusst sein könnte. Sprechen Sie dann mit Ihrem Vertragspartner und suchen Sie sich erforderlichenfalls Rat.

Vergessen Sie außerdem nicht zu prüfen, ob Ihnen ggf. Versicherungsschutz zusteht. Ist das der Fall, müssen Sie u.U. zeitnah handeln, um den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten gerecht zu werden.

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