ESG-Haftung – Aktuelle Zielrichtung von Klima-Litigation
Die EU treibt die Transition zu einer klimafreundlichen und allgemein nachhaltigen Wirtschaft auf unterschiedlichen Ebenen voran. Insbesondere durch Einführung von ESG-Transparenz- (z.B. CSRD) und -Sorgfaltspflichten (z.B. EntwaldungsVO, CSDDD) sowie ergänzender Haftungs- (z.B. Art. 29 Abs. 1 CSDDD) und Bußgeldvorschriften (z.B. Art. 25 EntwaldungsVO) entstehen neue Haftungs- und ESG-Klagerisiken, die sich nahezu im Monatstakt ändern und vor allem: verschärfen.
Diese Risiken angemessen zu managen, ist komplex. Unzureichend wäre es, hierfür bloß den aktuellen Stand der ESG-Klagen zu analysieren und gleichsam das Risiko aus neuen Bußgeld- und Haftungsvorschriften zu addieren. Vielmehr begründen und erhöhen die neuen ESG-Vorschriften vor allem in erheblichem Umfang die Organisations-, Bewertungs-, Prozess- und Governance-Pflichten, deren Verletzung dann auch zu Risiken nach Haftungsnormen führen kann, die schon lange bestehen.
Dieser Blogbeitrag ist der Beginn einer Serie von Beiträgen, die der Klärung des Risikos „ESG-Haftung“ dienen. In diesem ersten Beitrag gehen wir zunächst auf aktuelle Fälle von Klima-Klagen ein. Solche Klima-Klagen erscheinen vornehmlich in folgenden Bereichen:
1. Klimahaftungsklagen
Die wahrscheinlich größte öffentliche Aufmerksamkeit erregen derzeit Klimahaftungsklagen, durch die zumeist NGOs auf unterschiedliche Weise versuchen, besonders emissionsintensive Unternehmen – vergangenheitsbezogen – für ihren Beitrag zum Klimawandel zur Verantwortung zu ziehen.[1] In Deutschland ist der Leitfall die Klage eines peruanischen Bauern, der, unterstützt von einer Umweltvereinigung, das Energieunternehmen RWE auf Beteiligung an den Kosten von Vorsorgemaßnahmen gegen Auswirkungen des Klimawandels verklagt hat.[2] Eine Reihe von Einwänden gegen eine solche Haftung sind gewichtig, insbesondere die Frage der (Nachweisbarkeit der) Kausalität oder des Verschuldens. Dennoch wären die Verantwortlichen schlecht beraten, sich allzu sicher auf die Unüberwindbarkeit dieser Hürden zu verlassen.[3]
2. Klimaschutzklagen
Bei den sog. Klimaschutzklagen geht es darum, Unternehmen – zukunftsbezogen – das zu einer Reduzierung von Emissionen anzuhalten. Hierzu werden unterschiedliche Ansätze gewählt. Bauern klagen gegen Automobilunternehmen, weil sich ihre Ernten in Folge des Klimawandels verschlechtern. Umweltvereinigungen erwerben Anteile an Unternehmen, um als Shareholder gegen das Management vorzugehen. Einen viel beachteten Erfolg erreichte eine niederländische Umweltvereinigung, die in erster Instanz erfolgreich Shell verklagte, die zukünftigen CO2-Emissionen wesentlich zu reduzieren.[4] Das Gericht gelangte zu diesem Ergebnis durch die Auslegung einer Generalklausel im niederländischen Zivilrecht und die Wertung, dass eine unzureichende Emissionsreduzierung als eine Verletzung von Menschenrechten anzusehen sei. In Deutschland sind hingegen vergleichbaren Klage gegen Mercedes[5] und BMW[6] sowie gegen Volkswagen[7] in der ersten Instanz abgewiesen worden. Weitere Klagen gegen ein Gas- und Ölunternehmen sind noch anhängig.
Häufiger richten sich die Klimaschutzklagen indes gegen staatliche Stellen, insbesondere Bund und Länder. Das allein sollte für Unternehmen indes kein Grund zur Beruhigung sein, da dadurch die staatlichen Stellen gezwungen werden können und sollen, entsprechende Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Ziele – insbesondere der Pariser Klimaziele – zu ergreifen. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht den deutschen Gesetzgeber zu einer Verschärfung des Klimaschutzgesetzes verpflichtet.[8] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte kürzlich fest, dass die Schweiz die Menschenrechte klagender Seniorinnen verletze, weil das Land nicht das Erforderliche gegen die fortschreitende Klimaerwärmung tue. Für Unternehmen steigt damit das Transitionsrisiko, zumal wenn nicht auszuschließen ist, dass bei fehlender politischer Durchsetzbarkeit notfalls die Gerichte unterstützend einschreiten.
3. Greenwashing-Klagen
Eine andere Erscheinungsform aktueller „ESG-Klagen“ ist das Vorgehen gegen öffentliche Angaben zu den Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens. Zunehmend werden wettbewerbsrechtliche “Greenwashing”-Klagen erhoben, mit denen insbesondere gegen die Bezeichnungen von Produkten als „klimaneutral“ bzw. „CO2-neutral“ vorgegangen wird. Die Gerichte stellen hohe Anforderungen an die Werbung mit der Klimaneutralität. Unter anderem soll klar sein müssen, ob sich die Klimaneutralität z.B. auf die gesamte Wertschöpfungskette (also auch die Scope 3-Emissionen) bezieht.[9] Zudem vertreten Gerichte häufig die Auffassung, dass ein Produkt nicht ohne weiteres als „klimaneutral“ beworben werden dürfe, wenn diese „Klimaneutralität“ erst durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird und nicht dadurch, dass das Produkt „an sich“ emissionsfrei hergestellt ist[10]. Der Verbraucher habe dann die Erwartung, dass das Produkt selbst klimaneutral hergestellt wird und diese Neutralität nicht erst durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Eine zunehmend bedeutende Rolle spielt das Thema „Greenwashing“ im Finanzsektor. Aufgrund der großen Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten ist ein rasantes Wachstum solcher Produkte festzustellen. Ob diese indes in allen Fällen auch tatsächlich ihren Bezeichnungen genügen, wird manchmal bezweifelt, zumal gegenwärtig (noch) einige Unsicherheit über die konkreten Voraussetzungen eines nachhaltigen Finanzprodukts besteht. Der Fall DWS, in dem Greenwashing-Vorwürfe zu strafrechtlichen Ermittlungen führten, dürfte eine eindringliche Warnung sein. Daneben kommt eine zivilrechtliche Haftung in Betracht, wenn etwa Prospektfehler festzustellen sein sollten. Die geschädigten Anleger könnten dann den Erwerb rückabwickeln und weiteren Schadensersatz geltend machen. Ob die wirtschaftliche Entwicklung des Produkts etwas mit den Greenwashing-Vorwürfen zu tun hat, ist dabei regelmäßig nicht entscheidend. Denn die Rechtsprechung gestattet bei einer unzutreffenden Information der Anleger grundsätzlich eine schadensrechtliche Rückabwicklung auch dann, wenn ein ganz anderer Aspekt als der, über den fehlinformiert wurde, ursächlich für die negative wirtschaftliche Entwicklung ist.
Fazit
ESG-Litigation kann schon heute für Unternehmen zu einem zusätzlichen Haftungs- und Reputationsrisiko werden. Unternehmen und Asset Manager müssen einerseits ihr Geschäftsmodell den geänderten Erwartungen und regulatorischen Vorgaben anpassen. Sie dürfen aber anderseits auch nicht zu viel ankündigen oder versprechen, um sich nicht dem Vorwurf des Greenwashing ausgesetzt zu sehen. Hier werden Geschäftsleitungen das richtige Maß suchen und finden müssen, um sich frühzeitig zu wappnen.
Zu beachten ist bei der Risikobewertung auch, dass die neuen Transparenzvorschriften für Unternehmen und Vermögensverwalter in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte – die Sustainable Financial Disclosure Regulation, die Taxonomy Regulation und die Corporate Sustainability Reporting Directive – ebenso darauf abzielen, die Verantwortlichkeit der Unternehmen für die Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen. Möglicherweise werden Unternehmen somit gerade die Informationen offenlegen müssen, mit denen sodann eine Klage begründet werden kann.
[1] Vgl. die Climate Change Litigation Databases des Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia Law School (https://climatecasechart.com/) sowie die Datenbank des Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der London School of Economics (https://climate-laws.org/).
[2] OLG Hamm, Beschl. v. 30. November 2017 – I-5 U 15/17, ZUR 2018, 118.
[3] Ausführlich zur Bewertung der Risiken Ipsen/Waßmuth/Plappert, ZIP 2021, 1843.
[4] The Hague District Court, Judgement of 26 May 2021 – C/09/571932/HA ZA 19-379, ZUR 2021, 632.
[5] LG Stuttgart, Urt. v. 13.09.2022 – 17 O 789/21, NVwZ 2022, 1663.
[6] LG München I, Urt. v. 07.02.2023 – 3 O 12581/21.
[7] LG Braunschweig, Urt. v. 14.02.2023, 6 O 3931/21; LG Detmold, Urt. v. 24.02.2023 – 01 O 199/21.
[8] BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a., NJW 2021, 1723.
[9] LG Düsseldorf, Urt. v. 19. Juli 2013 – 38 O 123/12.
[10] LG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.2023 – 38 O 92/22, GRUR-RR 2023, 375 ff.