Zauberformel „ESG“: Wie Sustainable Finance auf die Realwirtschaft durchschlägt

Die Europäische Union hat unter den Überschriften „ESG“ und „Sustainable Finance“ in den letzten Monaten ein wahres Regulierungs-Feuerwerk gezündet. Zwar richtet sich das neue ESG-Aufsichtsrecht vorrangig an Finanzmarktteilnehmer (Banken, Versicherungen, Asset Manager) und Finanzberater. Letztlich zielt es aber auf die Unternehmen der Realwirtschaft ab. Die Regulierung der Finanzwirtschaft dient nur als Scharnier, um den Umbau der gesamten Wirtschaft voranzutreiben. Hierfür sollten sich alle Unternehmen frühzeitig wappnen.
Dr. Nils Christian Ipsen,
Dr. Lars Röh,
Dr. Nina Scherber
Thursday July 16th, 2020

I. Grundzüge der (bisherigen) Sustainable-Finance-Regulierung

Das Kürzel „ESG“ steht für Environmental, Social und Governance. Es umschreibt die drei zentralen Nachhaltigkeitsziele, an denen die EU ihre gesamte Wirtschaftstätigkeit zukünftig ausrichten soll. Mit Blick auf das Pariser Klimaschutzabkommen und die angestrebte Begrenzung der Erderwärmung auf < 2 Grad geht es derzeit vorrangig um das „E“.

Der regulatorische Instrumentenkasten der EU enthält vielfältige Pflichten für die Finanzwirtschaft:

  • Finanzberater müssen Anleger über ihre ESG-Präferenzen befragen. Wenn der Anleger eine ESG-Präferenz hat, müssen ihm hierfür geeignete Finanzprodukte angeboten werden.
  • Nachhaltige Finanzmarktprodukte sollen besser vergleichbar werden. Produktanbieter müssen anhand einheitlicher Standards darüber informieren, welche Nachhaltigkeitsziele mit ihrem Produkt verfolgt und zu welchem Grad die Nachhaltigkeitsziele bereits erreicht werden.
  • Die Aufsichtsbehörden erwarten von Banken, Versicherungen und Fondsverwaltern, dass sie Nachhaltigkeitsrisiken bei ihrer Risikosteuerung berücksichtigen.
  • Green Bonds werden einem europäisch harmonisierten Standard genügen müssen.
  • Große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen müssen zukünftig im Rahmen ihrer nicht-finanziellen Berichterstattung detailliert Auskunft über den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeiten geben.

Als allgemeingültigen Maßstab für ökologische Nachhaltigkeit entwickelt die EU derzeit eine Taxonomie. Damit eine wirtschaftliche Tätigkeit ökologisch nachhaltig ist, muss sie (1) einen erheblichen Beitrag zur Verwirklichung eines Umweltziels leisten, (2) keine anderen Umweltziele beeinträchtigen und (3) Mindestanforderungen der Menschen- und Arbeitsschutzrechte einhalten. Eine Taxonomie für die Faktoren „S“ (Soziales) und „G“ (Governance) soll zu einem späteren Zeitpunkt folgen.

II.  Realwirtschaft wird von guter ESG-Performance profitieren

Diese Vorgaben werden auf ganz unterschiedlichen Wegen Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Auch Unternehmen, die nicht in typischen Nachhaltigkeits-Sektoren tätig sind, werden betroffen sein. Generell gilt: Wer ESG-Kriterien erfüllt, ist im Vorteil.

Vorteile bei der EK-Finanzierung über den Kapitalmarkt

Die Einbeziehung von ESG-Präferenzen in die Anlageberatung wird den Bedarf an nachhaltigen Finanzprodukten weiter ankurbeln. Gleichzeitig erwarten die Aufsichtsbehörden von Versicherern und Fondsverwaltern eine stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionen. Ebenso wird das „Engagement“ von institutionellen Investoren für ESG-Themen auf Hauptversammlungen (und nicht nur dort) weiter zunehmen.

Kapitalmarktorientierte Unternehmen, die die Kriterien für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten (teilweise) erfüllen, werden damit zu bevorzugten Investitionsobjekten. Das gilt insbesondere in der Anfangsphase, in der vermutlich zunächst nur wenige Unternehmen die Anforderungen erfüllen bzw. nachweisen können. Die Erfüllung von ESG-Kriterien wird damit zu einer Funktion für die Eigenkapitalbeschaffung und Aktienkursentwicklung.

Erleichterte FK-Finanzierung durch Bankkredite

Wenn Banken zukünftig bei der Kreditvergabe und der laufenden Steuerung ihrer Kreditengagements auf die Nachhaltigkeit der von ihnen finanzierten Wirtschaftstätigkeiten achten (müssen).

  • Nachhaltigkeitsrisiken sind im Risikomanagement zu berücksichtigen.
  • Sie können bereits unter dem gegenwärtigen CRR-Regime Auswirkungen auf die aufsichtlichen Eigenmittelanforderungen für Kreditinstitute haben.
  • Um die eigene Refinanzierung über Green Bonds auszubauen, werden Kreditinstitute bevorzugt „Grüne Projekte“ finanzieren.

Umgekehrt bedeutet dies: Unternehmen mit „braunen“ Wirtschaftstätigkeiten werden es deutlich schwerer haben, an Bankkredite zu gelangen. Jedenfalls werden sie erhöhte Risikoaufschläge beim Kreditzins in Kauf nehmen müssen.

Die unterschiedliche Behandlung wird sich ggf. noch verschärfen, wenn ausdrückliche Regelungen zur Eigenkapitalunterlegung für ESG-Risiken erlassen werden. Zwar gibt es nachvollziehbaren Widerstand gegen einen automatischen Risikoabschlag für Finanzierungen von „grünen“ Tätigkeiten. Denkbar erscheint hingegen, dass es zukünftig zu einem standardisierten Risikozuschlag bei der Finanzierung von „braunen“ Tätigkeiten kommt.

Konsequenzen für den Versicherungsschutz

Versicherungen sind ebenso wie Banken zukünftig gehalten, Nachhaltigkeitsrisiken stärker zu berücksichtigen. Das kann sich bei den Versicherungen auf die Höhe des vorzuhaltenden Eigenkapital bzw. kurzfristig auf die Kosten für Rückversicherung auswirken. Die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde (EIOPA) rechnet deswegen mit steigenden Versicherungskosten für nicht-nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen. Anders gewendet: Versicherungsprämien für Unternehmen mit niedrigem ESG-Risikoexposure werden tendenziell sinken.

Folgen der erhöhten Transparenzanforderungen

Von den erweiterten Transparenzpflichten sind unmittelbar zwar nur große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen betroffen. Jedoch benötigen sie die entsprechenden Informationen von ihren Geschäftspartnern über Lieferketten und Vertriebswege hinweg. Unternehmen sollten sich deshalb darauf einstellen, dass sie nicht nur von ihrer kreditgebenden Bank, sondern auch von ihren Geschäftspartnern über die Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftstätigkeiten befragt werden. Wenn Unternehmen auf hierauf zufriedenstellende Antworten geben können, wird dies der weiteren Geschäftsbeziehung förderlich sein.

III. Ausblick: ESG wird zur Managementaufgabe

Wenn es um Vorstands- und Geschäftsführerpflichten ging, führten Themen wie Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) bislang eher ein Schattendasein: Sie waren ein Nice to have, das möglichst wenig Geld kosten sollte. Das wird sich ändern: Da Finanzierungsbedingungen, Versicherungsschutz und Geschäftsbeziehungen zukünftig von der ESG-Performance geprägt sein werden, muss sich die Geschäftsführung hierum kümmern – im Interesse des Unternehmens und seiner Share- und Stakeholders sowie zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken.

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