Der Teufel steckt beim ICO (auch) im Zivilrecht
Aufsichtsrecht ist wichtig
Regelmäßig stellen sich hier Fragen der aufsichtsrechtlichen Compliance: Benötige ich für ein öffentliches Angebot des Tokens einen von der zuständigen Finanzaufsichtsbehörde genehmigten Prospekt? Wenn ja, welchen (in Deutschland: Vermögensanlagenprospekt, Wertpapierprospekt oder ein Verkaufsprospekt nach dem KAGB)? Ist der Equity-/Debt-Token ein Finanzinstrument (regelmäßig: ja), für dessen Vermittlung es einer Erlaubnis durch die Finanzaufsichtsbehörde bedarf? Diese Fragen mögen komplex sein, sie sind aber lösbar (wenn auch mit finanziellem und administrativen Aufwand verbunden).
… aber nicht alles
Was häufig übersehen wird, sind die den aufsichtsrechtlichen Themen vorgelagerten zivilrechtlichen Fragestellungen. Hierbei geht es um scheinbar profane Dinge, die es aber in sich haben. So lassen sich unter der Geltung deutschen Rechts bestimmte Eigenkapital- und Fremdkapitalfinanzinstrumente nur dann zivilrechtlich wirksam emittieren, wenn sie in einer Urkunde (und das heißt: in einem Stück Papier) verkörpert sind. Beispiele:
- Jeder Aktionär hat gegenüber seiner AG das unentziehbare Recht, von der AG die Ausstellung einer Urkunde zu verlangen (nicht notwendig eine Einzelurkunde, wohl aber eine Globalurkunde, in der sämtliche Rechte der Aktionäre verkörpert sind). Macht auch nur ein Aktionär von diesem Recht Gebrauch, wird aus seinem bislang unverkörperten Aktienrecht eine Sache (Miteigentumsanteil an der Urkunde) Diese Urkunde muss der Emittent bei einer Bank verwahren lassen, um selbst kein unerlaubtes Depotgeschäft zu betreiben.
- Wer im Wege eines ICO eine Anleihe begeben will, muss die Anleihebedingungen in einer Urkunde niederlegen (§ 2 Satz 1 SchVG). Die Ausgabe von Token dürfte dieses Erfordernis nicht, oder jedenfalls nicht rechtssicher erfüllen.
Urkunde oder Nicht-Urkunde?
Das Urkundenerfordernis in Deutschland ist kein bloßer Selbstzweck. An die Urkunde knüpfen sich zahlreiche rechtliche Folgewirkungen. Insbesondere werden in einer Urkunde verkörperte Wertpapiere herkömmlicherweise nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen, also durch Einigung und Übergabe (§§ 929 ff. BGB). Dies erfolgt im Effektengiroverkehr durch ein komplexes System von gestuften Besitzmittlungsverhältnissen zwischen Anlegern, Depotbank und Wertpapiersammelbank (Clearstream). Dieses System zu durchbrechen, ist für einen ICO-Emittenten alles andere als einfach: Wie kann ein Miteigentumsanteil an einer Urkunde wirksam durch bloße Veräußerung des Tokens auf einem Handelsplatz übertragen werden? Wie erfolgt der Berechtigungsnachweis für die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (Dividenden, HV-Teilnahme etc.), wenn eine Urkunde existiert, aber das in der of chain-Welt gängige System von Bestandsnachweisen über Clearstream und Depotbanken nicht zur Verfügung steht?
Der Gesetzgeber muss helfen
Bestehende rechtliche Erfordernisse abzuschaffen, steht nicht in der Macht des ICO-Emittenten. Dies kann nur der Gesetzgeber. So könnte daran gedacht werden, analog zur Emission von Schuldtiteln des Bundes nach dem Bundesschuldenwesengesetz (BSchWG) das exklusive Erfordernis einer urkundlichen Verbriefung abzuschaffen und alternativ eine Registrierung des Schuldtitels in einem öffentlichen Register (DLT) zuzulassen. Entsprechende Gesetzesinitiativen sind jedoch derzeit (noch) nicht in Sicht. Bis dahin bietet sich für einen ICO-Emittenten an,
- entweder in juristische Institutionen auszuweichen, die ein solches Urkundenerfordernis nicht kennen (z. B. die Schweiz, in der bereits heute bloße Wertrechte zugelassen sind) oder
- in Deutschland auf Rechtsformen zurückzugreifen, für die keine Urkunde notwendig ist (im EK-Bereich sind dies stille Beteiligungen oder Treuhandmodelle, im FK-Bereich Namensschuldverschreibungen oder Schuldscheindarlehen).
Auch urkundenlose Rechtsformen haben jedoch „Risiken und Nebenwirkungen“, die es zu berücksichtigen gilt (z.B. die Vermeidung eines erlaubnispflichtigen Einlagengeschäfts im FK-Bereich oder einer Qualifizierung als alternatives Investmentvermögen nach dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) mit Pflicht zu Verwaltung durch eine beaufsichtigte Kapitalverwaltungsgesellschaft).
Nachhaltige Abhilfe kann insoweit nur der Gesetzgeber schaffen. Für die Etablierung Deutschlands als ein Standort für Blockchain-basierte Wertpapieremissionen dürfte dies ein entscheidender Erfolgsfaktor sein.