EU-Kommission nimmt Standards für Nachhaltigkeitsberichterstattung an – Lindenpartners bietet Tool

Die Europäische Kommission hat heute die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen als delegierte Rechtakte angenommen. Lindenpartners bietet ein Software-Tool an, das einen einfachen digitalen Zugang zu der komplexen Materie ermöglicht.
Dr. Lorenz Müller,
Dr. Thomas Asmus,
Dr. Nils Christian Ipsen
Juli 31, 2023

Die Europäische Kommission hat am 31. Juli 2023 das erste Set von Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS – European Sustainability Reporting Standards) von Unternehmen erlassen. Sie werden für viele mittelständische Unternehmen der Privatwirtschaft, aber auch viele öffentliche Unternehmen in Deutschland ab 2025 verbindlich sein, für einige bereits 2024. Die Berichtsanforderungen der nun erlassenen Standards bleiben deutlich hinter denen früherer Entwürfe zurück. Sie stellen für die verpflichteten Unternehmen aber gleichwohl  eine anspruchsvolle Herausforderung dar, die eine frühzeitige Vorbereitung erfordert.

Hintergrund: Green Deal und Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

Zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen soll die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden. Bis 2030 sollen die Emissionen von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent sinken, nach dem Deutschen Klimaschutzgesetz sogar um 65 Prozent. Nach dem europäischen Green Deal muss in Europa zu diesem Zweck „das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden“. Dazu ist sehr viel Kapital notwendig. Dieses soll durch Transparenz der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten mobilisiert werden. Dazu bedarf es zuverlässiger und vergleichbarer Informationen, die ein „Greenwashing“ verhindern. Das soll durch die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erreicht werden.

Anfang 2023 ist eine neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD) in Kraft getreten. Die Richtlinie verpflichtet Unternehmen der europäischen Wirtschaft – gestaffelt nach Größe und Umsatz – beginnend ab dem Geschäftsjahr 2024 zu einer ausführlichen und detaillierten ESG-Berichterstattung. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland künftig etwa 15.000 Unternehmen der Privatwirtschaft berichtspflichtig sein werden. Hinzu kommen zahlreiche öffentliche Unternehmen. Deren Zahl gibt der Verband der Wirtschaftsprüfer mit etwa 18.500 an.

Europäische Berichtsstandards

Konkretisiert werden die Berichtspflichten nach der CSRD durch detaillierte Berichtsstandard. Die jetzt von der Kommission angenommenen Standards bestehen aus zwei allgemeinen und  zehn themenspezifischen Regelwerken. Sektorspezifische Standards sollen noch folgen. Die ESRS werden als delegierter Rechtsakt zur CSRD in Kraft gesetzt.

Die von der EU-Kommission angenommenen Fassungen enthalten trotz zahlreicher Anregungen, die in dem letzten Konsultationsverfahren eingegangen waren, nur verhältnismäßig wenige Änderungen gegenüber zuletzt präsentierten Entwürfen. Es bleibt also im Wesentlichen bei dem Anfang Juni vorgestellten Stand:

  • Pflichtangaben: Danach sind nur die allgemeinen Offenlegungspflichten nach Standard ESRS 2 ohne weiteres von allen verpflichteten Unternehmen zu erfüllen. Alle übrigen Angaben, die in den zehn themenspezifischen Standards verlangt werden, müssen daneben nur dann gemacht werden, wenn sie in einer strukturierten Analyse von den Unternehmen als wesentlich eingestuft werden. Die ersten Entwürfe der EFRAG hatte die Wesentlichkeit zunächst noch bei allen thematischen Standards, dann zumindest noch bei den Standards „Klimawandel“ und „Eigene Belegschaft“ vorausgesetzt.

Anders als in den im Juni veröffentlichten Fassungen muss nun allerdings detailliert begründet werden, warum das Unternehmen meint, seine Geschäftstätigkeit sei weder wesentlich für den Klimawandel noch habe der Klimawandel wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen. Angegeben werden muss auch, welche Datenpunkte als nicht wesentlich erachtet wurden, die Finanzunternehmen benötigen, um ihren Berichtspflichten aus dem Bereich der Sustainable-Finance-Regulierung nachzukommen

  • Wesentlichkeitsanalyse: Die Wesentlichkeitsanalyse ist nach den ESRS eine detailliert vorgegebene strukturierte Prüfung der Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsaspekte (ökologische, soziale und Governance-bezogene) und umgekehrt der finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf das Unternehmen. Nach den ESRS hat ist unter anderem eine umfangreiche Befragung und Einbeziehung von Stakeholdern vorzunehmen. Zudem gehen die Standards davon aus, dass die Unternehmen einen fortlaufenden due-diligence-Prozess pflegen, dessen Ergebnisse insbesondere im Zusammenhang mit sozialen Nachhaltigkeitsaspekten in die Wesentlichkeitsanalyse einfließen.
  • Freiwillige Angaben: Die Offenlegung einer Reihe von Informationen, die in früheren Entwürfen der Standards noch verpflichtend waren, ist nun auch dann freigestellt, wenn die Informationen als wesentlich eingestuft sind. Das gilt etwa für Zuordnungen von Aktivitäten zu einer Hierarchie von Maßnahmen zur Schadensbegrenzung, bestimmte Angaben im Zusammenhang mit Biodiversität und die Angabe des Umfangs der tarifvertraglichen Bindung und Sozialversicherung. Anders als in früheren Entwurfsfassungen zuvor müssen die Unternehmen zudem nicht mehr zwingend begründen, wenn sie alle Offenlegungspflichten eines themenspezifischen Standards mangels Wesentlichkeit nicht befolgen wollen. Ausgenommen sind davon lediglich die Berichtspflichten zum Klimawandel (siehe oben).
  • Übergangsbestimmungen: Schließlich gelten Übergangsbestimmungen, die es insbesondere den kleineren unter den verpflichteten Unternehmen erlauben, in die Berichtspflicht „hineinzuwachsen“. So werden Unternehmen mit durchschnittlich bis zu 750  Beschäftigten vorübergehend von einigen Informationspflichten befreit, die als besonders belastend identifiziert wurden. Diese Unternehmen können nach dem Entwurf z.B.:
    • Im ersten Berichtsjahr auf die Angabe von Scope-3-Treibhausgas-Emissionen verzichten und den gesamten Standard mit Berichtspflichten zur eigenen Belegschaft (ESRS-S1) außer Acht lassen. Wird von letzterer Möglichkeit Gebrauch gemacht, tritt allerdings eine leichter zu erfüllende Erläuterungspflicht an die Stelle der umfangreichen Berichtspflichten nach diesem Standard.
    • In den ersten beiden Berichtsjahren auf die Erfüllung der Informationspflichten nach den Standards ESRS-E4 (Biodiversität) und den “Sozialstandards” ESRS-S2 (workers in the value chain), ESRS-S3 (affected communities) und ESRS S4 (consumers und end-consumers) verzichten, müssen aber hier  auch einen knappen “Ersatzbericht” erstatten.

Weitere Übergangsvorschriften gelten für alle Unternehmen und betreffen zum Beispiel bestimmte Angaben zur Wertschöpfungskette, Daten zu den finanziellen Auswirkungen von Umweltrisiken, die nicht klimabezogen sind, und bestimmte Datenpunkte, die die eigene Belegschaft betreffen.

Erhebliche Reduzierung der Berichtspflichten gegenüber Entwürfen

Entwürfe der ESRS hatte die Europäische Beratungsgruppe für Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group – EFRAG) im November vergangenen Jahres vorgelegt und waren von der Kommission zur Konsultation an die Mitgliedsstaaten übermittelt worden. Daraufhin waren – auch aus Deutschland – zum Teil sehr kritische Stellungnahmen abgegeben worden. Im März hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament angekündigt, Berichtspflichten von Unternehmen zu vereinfachen und um 25 Prozent zu reduzieren.

Die Kommission hatte die Vorgaben der ESRS, die bereits im Laufe des Konsultationsverfahren der EFRAG erheblich verschlankt und vereinfacht worden waren (siehe Blog vom 20. Juni), vor diesem Hintergrund weiter modifiziert und reduziert und die überarbeiteten Entwürfe im Juni für einen Monat (bis 7. Juli) öffentlich zur Diskussion gestellt.  Daraufhin waren über 600 Stellungnahmen eingegangen. Diese kritisierten die  Vorgaben zum Teil als nach wie vor zu weitgehend, zum Teil als viel zu schwach, wofür vor allem die Änderungen der Entwürfe durch die Kommission verantwortlich gemacht wurde. Die Kritik, die Vorgaben der Standards reichten nun nicht mehr aus, um eine im Sinne des Green Deal wirksame Berichterstattung zu gewährleisten, wurde dabei keineswegs nur von Umweltverbänden vorgetragen, sondern auch von Vertretern und Vertreterinnen der Finanzwirtschaft. Diese befürchtet, aufgrund der Lockerungen der Berichtspflichten durch die Kommission nun die Berichtspflichten nicht mehr erfüllen zu können, die der Finanzwirtschaft spezialgesetzlich im Rahmen der Sustainable-Finance-Regulierung auferlegt worden sind.

Wie geht es weiter?

Nach den Vorgaben der CSRD können die Standards frühestens vier Monate nach Erlass durch die Kommission in Kraft treten. In dieser Zeit können das Europäische Parlament und der Rat noch Einwände erheben. Sollte dies nicht geschehen, wie angesichts der Mehrheitserfordernisse zu erwarten ist, sollen die ESRS ab dem 1. Januar 2024 für Geschäftsjahre, die an diesem Tag oder später beginnen- Dann herrscht erst einmal grundsätzlich Klarheit über die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung in den kommenden Jahren. Die Kommission hat angekündigt, einen Auslegungsmechanismus einzuführen, der eine formale Auslegung der Standards ermöglichen soll. Sie hat die EFRAG zudem aufgefordert, zusätzliche Leitlinien und Schulungsmaterial zu entwickeln, die unter anderem den Prozess der Wesentlichkeitsbewertung erläutern sollen, der vielen Rechtsanwendern noch ein Rätsel sein dürfte.

Die Standards werden trotz der Reduzierung der Berichtspflichten, Übergangsvorschriften und Auslegungsmechanismen noch eine große Herausforderung für viele verpflichtete Unternehmen darstellen. Die deutsche Fassung der Standards bedruckt 281 Seiten mit detaillierten Vorgaben und Regelungen. Lindenpartners werden mit dem Software-Tool „Easy Access“ einen einfachen Zugang zu der komplexen Materie schaffen.

Die im Konsultationsverfahren geäußerte politische Kritik an den Standards dürfte durch die nun verabschiedeten Regelwerke kaum verstummen. Diese sind allerdings auch keineswegs in Stein gemeißelt: Die Kommission hat die Standards alle drei Jahre nach deren Geltungsbeginn unter Berücksichtigung der fachlichen Stellungnahme der EFRAG zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern.

Neuigkeiten